Moralische Erpressung
Seit dem ersten Wahlgang der Präsidentenwahl wird uns eingehämmert, ein anständiger Österreicher könne im zweiten niemand anderen wählen als Van der Bellen, denn man müsse unbedingt den „Rechtsruck“verhindern. „Moralische Erpressung“nannte das der kluge Kommentator Rudolf Mitlöhner in der „Furche“einmal. In den InternetForen kann man lesen, was sich viele Leute dabei denken, nämlich: „Jetzt erst recht Hofer.“Andere, die Van der Bellen aus welchen Gründen auch immer wählen möchten, werden sich fragen, wie sie eigentlich dazu kommen, für einen „antifaschistischen“Kampf vereinnahmt zu werden. Van der Bellen selbst wird sich überlegen, ob ihm da nicht ein Bärendienst erwiesen wird, ebenso wie durch die Wahlempfehlung eines Jean-Claude Juncker.
„Die Schweiger“nennt ein bekannter Kommentator jene Politiker, die sich nicht für Van der Bellen erklären, und spielt damit auf Wolfgang Schüssel an, den man den „Schweigekanzler“genannt hat: „Die ÖVP verweigert kollektiv und individuell“, lautet sein Verdikt. Was soll da heißen „verweigert“? Warum soll eine Partei für den Kandidaten einer anderen Partei, gegen den der eigene Kandidat unterlegen ist, Werbung machen?
Dasselbe gilt für Irmgard Griss. Sie gibt auch keine Wahlempfehlung ab, erklärt nur, sie teile Van der Bellens positive Einstellung zur EU. Eine „seltsame Positionierung“nennt das der Leitartikler. Was ist daran seltsam? Ist es eine Pflicht, für Van der Bellen zu sein? Warum soll sie zur Wahl jemandes aufrufen, der vor Wochen ihr Konkurrent war, sie knapp geschlagen hat und gegen den sie sich für die bessere Wahl halten musste – und auch tatsächlich gewesen ist? Vielleicht hat Griss in den paar Wochen, in denen sie Politik macht, mehr begriffen als professionelle Beobachter in Jahrzehnten. ufschlussreich ist die Liste von „bürgerlichen Wählern“und ehemaligen ÖVP-Politikern, die eine Erklärung für Van der Bellen unterschrieben haben. Es finden sich darauf einige, die es nicht weiter als zum Vizekanzler gebracht und jede Bundeswahl verloren haben, zu der sie angetreten sind. Natürlich darf Erhard Busek nicht fehlen. Das ist der, der seinerzeit für die „Große Koalition ohne Wenn und Aber“gewesen ist. Willi Molterer, ebenfalls auf der Liste und ehemaliger Vizekanzler, war nach der Wahl 2002 der größte Befürworter einer schwarz-grünen Koalition. Er war bei den Verhandlungen dabei, in denen dieses Experiment wegen der Entscheidungsschwäche Van der Bellens gescheitert ist. Jetzt möchte er denselben Van der Bellen als Präsidenten haben. Wahrscheinlich besteht die Erklärung, warum Molterer, Busek und Josef Riegler nie Kanzler, sondern Vizekanzler geworden sind, darin, dass sie solche Aufrufe unterschreiben. Hans Winkler
Awar Leiter der Wiener Redaktion der Kleinen Zeitung