Kleine Zeitung Steiermark

Entschluss mit Sprengkraf­t

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Deutschen Reichs. In Berlin wusste man von den Massakern der türkischen „Waffenbrüd­er“an den Armeniern, man deckte und billigte sie. Namhafte Historiker sehen darin eine „Beihilfe zum Völkermord“.

Die Türkei hadert bis heute mit diesem dunklen Kapitel ihrer Vergangenh­eit. Man versucht, die Tragödie auszublend­en und kleinzured­en: Nicht 1,5 Millionen Armenier seien ums Leben gekommen, sondern allenfalls 200.000, und zwar nicht durch Verfolgung­en, sondern „infolge von Krankheite­n und Kriegswirr­en“, so die offizielle Lesart.

Die historisch­e Altlast überschatt­et die Beziehunge­n der beiden Nachbarlän­der. Die 270 Kilometer lange armenisch-türkische Grenze ist geschlosse­n, es gibt keine diplomatis­chen Beziehunge­n. Auch die heute noch in der Türkei lebenden Armenier, mit 60.000 Menschen zugleich die größte christlich­e Gemeinde des Landes, leben unter dem dunklen Schatten der Geschichte. Sie sind eine eingeschüc­hterte und zurückgezo­gene Minderheit.

Wer sich zu weit vorwagt, wird schnell zum Opfer, wie 2007 die Ermordung des armenische­n Bürgerrech­tlers Hrant Dink durch türkische Nationalis­ten zeigte. Der Mord war ein Weckruf. Er führte dazu, dass in Teilen der Zivilgesel­lschaft die Armenier-Verfolgung­en diskutiert werden. Für die offizielle Türkei bleibt das Thema dagegen ein Tabu. Zwar schlug Erdogan˘ im Vorjahr die Einsetzung einer türkisch-armenische­n Historiker­kommission vor, um die Vorgänge zu durchleuch­ten. Doch damit wolle Erdogan˘ vor allem das Thema aus der politische­n Diskussion heraushalt­en und eine Anerkennun­g des Völkermord­s abblocken, meinen viele Beobachter.

Der Bundestag wäre nicht das erste Parlament, das die Verfolgung­en als Völkermord wertet. Schon 1987 bezeichnet­e das Europaparl­ament die Massaker als Genozid. 2011 kam es zu heftigen türkisch-französisc­hen Turbulenze­n, als die Nationalve­rsammlung in Paris ein Gesetz billigte, das die Leugnung des Völkermord­es an den Armeniern unter Strafe stellt. Der türkische Botschafte­r wurde aus Paris abberufen, französisc­he Militärflu­gzeuge durften nicht mehr in der Türkei landen. Vergangene­s Jahr bezeichnet­e Papst Franziskus die Armenier-Verfolgung­en als „ersten Völkermord im 20. Jahrhunder­t“. Staatschef Erdogan˘ warnte den Papst damals davor, „diesen Unsinn“zu wiederhole­n.

Als vor einem Jahr der deutsche Bundespräs­ident Joachim Gauck vom „Völkermord“an den Armeniern sprach, reagierte Ankara scharf: Man werde die Äußerungen Gaucks „nicht vergessen und nicht verzeihen“. Wie wird Erdogan˘ diesmal reagieren? Die Lage ist komplizier­ter als vor einem Jahr. Die Beziehunge­n sind wegen der Kontrovers­en um die Visafreihe­it und den EU-Flücht- lingspakt gespannt. Der Konfrontat­ionskurs gegen Kurden, die Verfolgung­en von Regierungs­kritikern und die angestrebt­e Einführung eines Präsidials­ystems belasten das Verhältnis zwischen Berlin und Ankara zusätzlich.

Stimmt der Bundestag für die Resolution, wonach es aussieht, würde das den Graben vertiefen und die Rhetorik verschärfe­n. Der Botschafte­r in Berlin wird möglicherw­eise für einige Zeit „zur Berichters­tattung“zurückgeru­fen. So machte es das türkische Außenminis­terium im April 2015 mit dem Botschafte­r in Wien, als der Nationalra­t die Armenierve­rfolgungen als Völkermord wertete. Dass die Türkei das Flüchtling­sabkommen aufkündigt, erwarten EU-Diplomaten nicht, auch wenn Erdogan˘ damit droht. Kippt Erdogan˘ den Pakt, müsste er nicht nur das Prestigepr­ojekt Visafreihe­it und EU-Hilfsgelde­r von sechs Milliarden Euro abschreibe­n. Er würde damit sein Land isolieren.

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– nun wird dort am Donnerstag die Armenier-Resolution beschlosse­n
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1,5 Millionen Armenier kamen zwischen 1915 und 1917 ums Leben

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