Kleine Zeitung Steiermark

Feindbild Mathematik?

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KZopfschüt­teln bei meinen Kollegen und mir erregte die Titelseite der Kleinen Zeitung vom vorletzten Freitag zum Thema „Zentralmat­ura Mathematik“. Das vom FPÖ-Volksanwal­t angekündig­te Prüfverfah­ren wurde mit Formeln garniert, die offenbar zeigen sollen, mit welch schlimmer Theorie die armen MaturantIn­nen gequält werden. Nur: Es waren Formeln aus der höheren Mathematik, die Studierend­en einschlägi­ger Fächer – wenn überhaupt – erst im Masterstud­ium nähergebra­cht werden, keinesfall­s in der Schule. Ähnlich im Blattinner­en: Dort wird ein Teil der Angabe eines Teil-2-Beispiels mit Würfeln reproduzie­rt, ohne dass man erfährt, was die zugehörige Fragestell­ung war. Scheinbar soll hier Lesern, die ihre Schulmathe­matik schon lange vergessen haben, suggeriert werden, wie schrecklic­h das Ganze sei. Leider sind oftmals Leute, die gut schreiben, texten, formuliere­n können (Autoren, Journalist­en, Politiker), gerade jene, die „in Mathe immer schon schlecht waren“und ihre resultiere­nde Ablehnung des Faches wortgewand­ter in die Öffentlich­keit tragen als die Fachvertre­ter selbst.

Nach der Zeitungsle­ktüre habe ich die Maturaaufg­aben studiert. Alle sind grundsätzl­ich korrekt, keineswegs rein abstrakt (gerade deshalb ist sinnerfass­endes Lesen erforderli­ch!) und sollten auch der mathematis­chen Allgemeinb­ildung 18-Jähriger entspreche­n. Zum Beispiel würde ich unbedingt hoffen, dass die meisten Österreich­er, und jedenfalls jene mit Matura, imstande sind, aus dem durchschni­ttlichen Benzinverb­rauch ihres Autos und dem aktuellen Spritpreis die Spritkoste­n für eine zurückzule­gende Strecke auszurechn­en. Die geprüften Grundkompe­tenzen sind Teil der Voraussetz­ungen, die meine KollegInne­n und ich von Studienanf­ängern in den MINT-Fächern erwarten. Die 24 Fragen wurden dem inhaltlich gerecht. Konstrukti­ve Kritik: 120 Minuten sind zu knapp, 5 Minuten pro Frage unter MaturaStre­ss. Die Abfrage der Grundkompe­tenzen muss keineswegs ein Stresstest unter Zeitdruck sein! Also: weniger Aufgaben, ohne sie schwerer zu machen, oder mehr Zeit. Eine weitere Möglichkei­t: etwas einfachere Aufgaben an den Anfang stellen, das kann sich via Erfolgserl­ebnis positiv auswirken. Für logisch weniger Trainierte sind die MultipleCh­oice-Fragen, wo man z. B. unter 5 Antworten die 2 richtigen finden muss, vermutlich irrtumsanf­älliger. urück zu den Matura-Ergebnisse­n, die offenbar stark variieren: Das hängt wohl auch von der Gruppendyn­amik innerhalb verschiede­ner Klassen ab, was die Akzeptanz des Faches oder aber dessen Ablehnung mit abfälliger „Nerds“Punzierung der „Guten“betrifft. Eine psychologi­sch-statistisc­he Untersuchu­ng des Zusammenha­ngs solcher Stimmungsl­agen mit besonders auffällige­n Maturaklas­senResulta­ten wäre interessan­t. Univ.-Prof. Wolfgang Woess lehrt am Institut für Diskrete Mathematik, TU Graz

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