Unverstellt genauerBlick auf das Leben
Sie war jahrzehntelang im Verlagswesen tätig. Zu schreiben begann Ilse Helbich, geboren 1923 in Wien, aber erst als 80-Jährige. 2003 erschien ihr hochgelobter Debütroman „Schwalbenschrift“, in dem eine Frau fast schmerzhaft unverstellt aus ihrem Leben erzählt. Das Buch sei wie „ein literarischer Eingriff am offenen Herzen“, hieß es in einer Kritik. Es folgten u. a. die Erzählbände „Iststand“und „Grenzland Zwischenland“, die Romane „Das Haus“, „Vineta“und im Vorjahr „Schmelzungen“). Ihnen gemein ist der genaue und dabei teilnahmsvolle Blick auf das Leben und die Menschen, die sich daran versuchen.
DBand mit Hölderlin-Gedichten reißt die junge Frau „Seite um Seite die ihr wichtigen heraus, . . . als könnte sie sich damit ein Anknüpfen an das Leben, das sie sich einmal wünschte, in einer unvorstellbaren Zukunft garantieren“. Und als sie eine „schön gestickte Abendtasche“ihrer Mutter findet, gerät sie ihr zum Ausweis einer Präsenz, die sich im Augenblick erfüllt: „Vielleicht wird diese Tasche morgen schon vernichtet sein, durch neue Bomben, . . . vielleicht wird sie geraubt werden, wie soll ich das wissen, jetzt aber, als sie den Staub weggeschüttelt hat, schenkt ihr dieses Stück sein Seidenglänzen, das Herz wird ihr weich vor solch schönem Überfluß.“iese Ausrichtung an einem Jetzt, das intensiv und bedroht zugleich ist, wird nach und nach zur Grundhaltung, die das Leben und Schreiben Ilse Helbichs bestimmt. Dabei zeigt sich, dass auch das Alter keine Antworten weiß auf die Fragen, die das Dasein aufwirft. Stattdessen gilt es, die Ungewissheit auszuhalten, sich einzurichten in der Ungerichtetheit der Existenz, zuzulassen, was an ihr fremd, dunkel und beunruhigend ist. In „Grenzland Zwischenland“vergleicht Helbich diese Ungewissheit mit dem Schlaf, auf den sich der Schlafende einlässt, ohne zu wissen, ob er je wieder aus ihm erwacht. Und das Ding, an dem sie diese ambivalente Erfahrung festmacht, ist eine afrikanische Kopfstütze. Ein Schlafbehelf, produziert und benutzt von Menschen, für die die „Wohltat des Schlafes“den einzigen und wertvollsten Besitz darstellt: „Der am Tag arme Mensch, jetzt ist er ein König, der sich .. . der Nacht überläßt und weiß, dass auch er, wenn morgen die Sonne hochsteigt, wieder zuhause sein wird in seinem Leben. Sei du nur ein König, sagt das Ding, das er selber gefertigt hat und schön verziert mit zarten Schnitzereien, gewebt aus winzigen Zeichen zu Mustern, die nicht gedeutet werden wollen und sicheres Geleit geben auf der Nachtfahrt ins Unbekannte.“