„Sieg über IS ist völlig absurd“
Politikexperte Michael Lüders sieht keine Lösungswege für Nahost.
HINTERGRUND GRAZ. Solange der Westen um jeden Preis den Sturz von Machthaber Baschar al-Assad anstrebe, werde in Syrien keine Ruhe einkehren. Diese These vertritt der Nahostexperte, Journalist und Politikberater Michael Lüders. Assad werde von den nicht sunnitischen Teilen der Bevölkerung nach wie vor gestützt: „Für sie ist er die Pest, die man seit Jahrzehnten kennt“– und die würde einer unbekannten Cholera allemal vorgezogen.
Selbst wenn es gelänge, Assad zu stürzen, sei nichts gewonnen: „Zu glauben, der nächste Machthaber würde sozusagen Schweizer Verhältnisse in Syrien einführen, ist eine Illusion.“Viel eher würden nach Assad diverse jihadistische Gruppen brutal um die Macht kämpfen. Auch die Kurden seien nicht „die Guten“, sie könnten vielmehr die Feinde des Westens von morgen sein: „Alle Parteien Händen.“
Die Russen hätten die Lage in Syrien realistischer eingeschätzt als der Westen, meinte Lüders am Montag bei einem Vortrag in Graz. Zu den Flüchtlingsströmen sagt der Experte: „Wir haben uns das Problem zu erheblichen Teilen durch eine falsche Nahostpolitik selbst geschaffen.“Europa zahle den Preis für die Politik der USA, die nicht von Werten, sondern ausschließlich von eigenen machtpolitischen Interessen geleitet sei. Einzige Einschränkung: „Die Russen und die Chinesen sind auch nicht besser. Geopolitik ist immer ein schmutziges Geschäft.“So seien etwa die Franzosen nur deshalb in Mali auf Militärmission, um im benachbarten Niger auf die Uranminen für die Atomindustrie zugreifen zu können.
Baldige Lösungen haben Blut an für ihren die Flüchtlingsfrage oder für die Kriege im Nahen Osten hält Lüders für so gut wie ausgeschlossen. „Die Entwicklung ist nicht mehr zu kontrollieren, alles ist im Fluss, auch in Libyen. Wenn man dort wegen der Flüchtlinge militärisch intervenieren will, kann ich nur sagen: Na, Glück auf!“
Der Irak habe aufgehört, als Staat zu funktionieren – „den gibt es nur mehr auf dem Papier“. Auch die Vorstellung, man könne die Terrormiliz Islamischer Staat militärisch besiegen, sei vollkommen absurd. Denn der IS zahle seine Söldner gut und habe aufgrund der Perspektivlosigkeit der Jugend ein unendliches Reservoir für die Rekrutierung.
Die vage Hoffnung des Experten: Die Großmächte sollten innehalten, ihre Interessen offenlegen und gemeinsam über völlig neue Lösungsstrategien beraten.