Kleine Zeitung Steiermark

„Sieg über IS ist völlig absurd“

Politikexp­erte Michael Lüders sieht keine Lösungsweg­e für Nahost.

- ERNST SITTINGER

HINTERGRUN­D GRAZ. Solange der Westen um jeden Preis den Sturz von Machthaber Baschar al-Assad anstrebe, werde in Syrien keine Ruhe einkehren. Diese These vertritt der Nahostexpe­rte, Journalist und Politikber­ater Michael Lüders. Assad werde von den nicht sunnitisch­en Teilen der Bevölkerun­g nach wie vor gestützt: „Für sie ist er die Pest, die man seit Jahrzehnte­n kennt“– und die würde einer unbekannte­n Cholera allemal vorgezogen.

Selbst wenn es gelänge, Assad zu stürzen, sei nichts gewonnen: „Zu glauben, der nächste Machthaber würde sozusagen Schweizer Verhältnis­se in Syrien einführen, ist eine Illusion.“Viel eher würden nach Assad diverse jihadistis­che Gruppen brutal um die Macht kämpfen. Auch die Kurden seien nicht „die Guten“, sie könnten vielmehr die Feinde des Westens von morgen sein: „Alle Parteien Händen.“

Die Russen hätten die Lage in Syrien realistisc­her eingeschät­zt als der Westen, meinte Lüders am Montag bei einem Vortrag in Graz. Zu den Flüchtling­sströmen sagt der Experte: „Wir haben uns das Problem zu erhebliche­n Teilen durch eine falsche Nahostpoli­tik selbst geschaffen.“Europa zahle den Preis für die Politik der USA, die nicht von Werten, sondern ausschließ­lich von eigenen machtpolit­ischen Interessen geleitet sei. Einzige Einschränk­ung: „Die Russen und die Chinesen sind auch nicht besser. Geopolitik ist immer ein schmutzige­s Geschäft.“So seien etwa die Franzosen nur deshalb in Mali auf Militärmis­sion, um im benachbart­en Niger auf die Uranminen für die Atomindust­rie zugreifen zu können.

Baldige Lösungen haben Blut an für ihren die Flüchtling­sfrage oder für die Kriege im Nahen Osten hält Lüders für so gut wie ausgeschlo­ssen. „Die Entwicklun­g ist nicht mehr zu kontrollie­ren, alles ist im Fluss, auch in Libyen. Wenn man dort wegen der Flüchtling­e militärisc­h intervenie­ren will, kann ich nur sagen: Na, Glück auf!“

Der Irak habe aufgehört, als Staat zu funktionie­ren – „den gibt es nur mehr auf dem Papier“. Auch die Vorstellun­g, man könne die Terrormili­z Islamische­r Staat militärisc­h besiegen, sei vollkommen absurd. Denn der IS zahle seine Söldner gut und habe aufgrund der Perspektiv­losigkeit der Jugend ein unendliche­s Reservoir für die Rekrutieru­ng.

Die vage Hoffnung des Experten: Die Großmächte sollten innehalten, ihre Interessen offenlegen und gemeinsam über völlig neue Lösungsstr­ategien beraten.

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Er hat’s ja immer schon gewusst: Donald Trump polarisier­t einmal mehr

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