Zu bleiben“
HESOUN: Man muss ernsthaft darüber nachdenken, welche Leistungen wir in Zeiten der Digitalisierung noch brauchen und welche noch von Menschen gemacht werden müssen. Wenn wir diesen Prozess jetzt nicht starten, kommen wir nie ans Ziel. Der Finanzausgleich wäre ein guter Rahmen, darüber zu reden.
Manche sagen, Europa wird eine Art Welfare-Museum, die Zukunft liegt in Südamerika und Asien. HESOUN: Das halte ich für unwahrscheinlich. Europa stand immer für technologischen Vorsprung. Im Maschinenbau, in der Autoindustrie waren wir immer vorne mit dabei. Ich sehe Europa wirklich mit Zukunft ausgestattet. Aber wir müssen unsere Chancen auch wahrnehmen. Wir müssen die Wirtschaftspolitik in der EU viel enger abstimmen. Da müssen wir unsere Kraft besser bündeln und dürfen uns nicht im Inneren zerfleddern.
Wie würde sich der Brexit aus Sicht der Industrie auswirken? HESOUN: Wo es mit Sicherheit Verschlechterungen geben würde, ist in England selbst. Gerade für die Briten mit ihrem Finanzmarkt war die EU als Hinterland sehr wichtig. Aber natürlich würde jede Form von zusätzlicher Unruhe die vorhandenen Probleme verstärken. Ich wünsche es mir nicht.
Teile der Regierung, zuletzt auch der Bundespräsident, äußerten große Bedenken bezüglich TTIP. Beunruhigt Sie das? HESOUN: Der aktuelle Verhandlungsstand ist, glaube ich, allen noch zu wenig bekannt, um darüber zu urteilen. Grundsätzlich bin ich für Freihandel, weil er Barrieren abbaut. Aber er muss unter fairen Rahmenbedingungen stattfinden. Unternehmen, die international tätig sind, profitieren davon
Warum ist ausgerechnet in Österreich die Ablehnung so groß? HESOUN: Ich glaube, der Österreicher hat in der Vergangenheit – zu Recht – ein sehr hohes Augenmerk auf seine Feinkostkultur gelegt. Wir haben auch gegen Kernenergie gestimmt und sind gegen gentechnisch verändertes Saatgut. Das ist ein Grundzugang. Österreich sieht sich als Höhenkurort, wo alles natürlich und schön ist. Das ist im Grunde gut, der Tourismus lebt davon. Wenn dann jemand mit Schlagwörtern wie Chlorhuhn kommt, stößt das eben auf großen Widerstand.
Die Wachstumsstrategie von Siemens heißt „Vision 2020“. Finden Sie genügend Fachkräfte, um Ihre Vision zu verwirklichen? HESOUN: Siemens hat gewisse Vorteile, weil wir als Arbeitgeber gefragt sind. Aber ich kenne vor allem in den westlichen Bundesländern etliche Unternehmer, etwa aus dem Bereich der Anlagenbauindustrie, die mehr umsetzen könnten, wenn sie die qualifizierten Mitarbeiter bekommen würden, die sie brauchen. Gerade KMUs stehen hier vor besonderen Herausforderungen.
Sie sind Chef der Wiener Industriellenvereinigung, damit Teil der Sozialpartnerschaft. Kritiker aus der IV meinen, die Sozialpartnerschaft sei verkrustet und torpediere Erneuerungen. Wie sehen Sie das? HESOUN: Ich werde jetzt den Chef der Bundes-IV in seinen Aussagen nicht konterkarieren, er verhandelt auf Bundesebene. In Wien haben wir bisher immer eine Lösung gefunden, die für die Betriebe und die Gewerkschaften akzeptabel war. Es funktioniert eigentlich recht gut. Aber dass es auch in der Sozialpartnerschaft redundante Strukturen gibt, ist klar. Wir sind alle angehalten, das laufend zu überprüfen. . Das Interview fand mit den führenden Bundesländerzeitungen statt. Für die „Kleine Zeitung“nahm Chefredakteur Hubert Patterer teil.