Hamlets Heimkehr in die Oper
Bregenz überrascht zum diesjährigen Festspielauftakt mit einer faszinierenden und aus der Versenkung geholten „Hamlet“-Vertonung von Franco Faccio aus dem Jahr 1865. Mutig und spannend.
FREITAG, BREGENZER FESTSPIELE
N22. JULI 2016, SEITE 73 ur wenige Komponisten haben es gewagt, Shakespeares berühmtes Drama „Hamlet“zu vertonen. Einer von ihnen ist Franco Faccio. Für diese vor 145 Jahren als „Amleto“uraufgeführte Oper hat Arrigo Boito Shakespeares Text (wie auch bei Verdis „Otello“) eingerichtet. Das Dreieck Verdi – Boito – Faccio drängt sich auf beim Hören der Aufführung, die unter dem Dirigat von Paolo Carignani über die Bühne des Bregenzer Festspielhauses ging.
In Unkenntnis der Uraufführungsdaten könnte man meinen, dass Faccio ein Epigone Verdis war – eine Meinung, die in der Pause durchs Foyer schwirrte. Doch erklang „Amleto“bereits 1865 zum ersten Mal, „Otello“aber, dessen Szene der Desdemona mit dem „Lied von der Weide“bis in melodische Wendungen hi- nein der Wahnsinnsszene Ophelias glich, erst 1887. Eine faszinierende Entdeckung, die Fragen aufwirft. Etwa die, ob es auch in der Romantik, wie im Barock, feststehende Motive für Gefühlszustände gab. Oder ob der musikalische Einfluss Boitos, der ja selbst komponiert hat, auf Verdi beziehungsweise Faccio größer war als bisher angenommen.
Erstmals vollständig
Wie dem auch sei, die Bregenzer Intendantin Elisabeth Sobotka hat gut daran getan, „Amleto“von Boito und Faccio auf das Programm zu setzen. Sie hat sich mit dieser Oper in ihrer Diplomarbeit beschäftigt und hat nun in BregenzCˇdie erste vollständige Aufführung in Europa seit 1871 ermöglicht. Vielleicht ist es Boito nicht immer gelungen, den Text Shakespeares dramaturgisch schlüssig für die Oper zu bündeln, denn manches wirkt formal unausgewogen. Dennoch ist das Ganze ein durchgehend spannendes Werk bis hin zum letalen Schluss, und das ist vor allem der Musik Faccios zu danken.
Eindrucksvolle Bilder
Großartige Orchesterzwischenspiele verbinden die Szenen, von denen der Trauermarsch für Ophelia bekannt ist – übrigens vor allem auf der griechischen Insel Korfu, wo er als Musik zum Karsamstag in Blasmusikfassung Tradition hat. Und wunderbar macht der Komponist die Charaktere spürbar, mit denkbar anspruchsvollen Gesangspartien. Für die Festspielaufführung ist es gelungen, diese gut zu besetzen. Pavel ernoch erfüllt die Titelpartie mit kraftvollem Tenor, in seiner Unschlüssigkeit und der komplizierten Eltern-Konstellation erinnert er an Verdis „Don Carlo“. Herausragend ebenfalls Dshamilja Kaiser als seine Mut- ter Gertrude oder Claudio Sgura als König Claudius. Iulia Maria Dan ist eine berührend poetische Ophelia, muss aber stimmlich zuweilen forcieren.
Olivier Tambosi beschränkt sich in seiner Regie dankenswerterweise darauf, die Geschichte in eindrucksvollen und symbolträchtigen Bildern zu erzählen, unterstützt vom Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann und den historischen Kostümen von Gesine Völlm. Paolo Carignani setzt mit den gut disponierten Wiener Symphonikern die Partitur farbenreich um und leitet die Solisten und den fabelhaften Prager Philharmonischen Chor umsichtig. Das Publikum bejubelte die Aufführung, einige Buhs gab es für das Regieteam. Hamlet. Von Franco Faccio. Bregenzer Festspiele, Festspielhaus. Weitere Aufführungen: 25. und 28. Juli. Karten: Tel. ( 5574) 4076 bregenzerfestspiele.com