Über Lob und Tadel
Warum man süchtig nach Lob werden kann und warum wir es so dringend brauchen – vor allem, wenn es vom Chef kommt. Psychiater Michael Lehofer über Tadel, Eigenlob und Suchtgefahr.
Gut gemacht!“, sagt der Chef – und sein Lob geht runter wie Öl. Warum Führungskräfte loben sollten und es manchmal unklug sein kann, dem Chef im Gegenzug ein Kompliment zu machen, erklärt Psychiater Michael Lehofer. Lob als Führungsinstrument. Mitarbeiter zu loben, gilt als klassisches Führungsinstrument – es soll motivationsfördernd wirken. Besonders wirkungsvoll ist es natürlich, wenn es alternierend mit Tadel eingesetzt wird.
Zuckerbrot und Peitsche ist eine bewährte Kombination, die nicht nur bei Fußballtrainern Verbreitung findet. Doch bleibt der schale Nachgeschmack, auf diese Weise instrumentalisiert zu werden. Dieses Gefühl und der Eindruck der Unauthentizität kann zu einem Mangel an Loyalität führen. Das kennt wohl jeder aus seiner eigenen Kindheit: Wenn Lob und Tadel systematisch einge- setzt werden, nimmt man bald nicht mehr ganz ernst. Lob als inflationäre Währung. Wir alle brauchen Lob. Das resultiert daraus, dass wir alle unsichere Persönlichkeiten sind. Es kompensiert das narzisstische Defizit. Viele von uns können nicht genug davon bekommen. Wenn man aber zu loben beginnt, braucht der, an den es gerichtet ist, immer mehr davon, um satt zu werden. Man wird süchtig danach.
Sucht ist auch dadurch gekennzeichnet, dass die Toleranz gegenüber dem Suchtmittel steigt. Wie der Alkoholiker immer mehr Alkohol braucht, um betrunken zu werden, braucht das narzisstische Selbst immer mehr Lob, um zufriedengestellt zu sein. Die Konsequenz ist, dass der, der zu loben beginnt, es immer öfter tun muss. Dasselbe gilt auch für Tadel. Er ist nichts anderes als Angstmache auf der Erleb- Psychiater Michael Lehofer das nisebene – auch deshalb gilt: Tadel wird inflationär. Lob als Führungsinstrument wird also stumpf. Lob als Grund zur Furcht. Rabindranath Tagore, ein indischer Weiser und Dichter, schreibt: „Dein Lob beschämt mich, denn heimlich habe ich darum gebettelt.“Damit beschreibt er die Tatsache, dass wir in Gefahr kommen, durch Lob in Abhängigkeiten zu anderen zu geraten.
Lob korrumpiert uns, jene Dinge, die wir nicht machen wollten, zu tun. Es gehört daher zum freien Menschen, von Lob unabhängig zu werden. Das bedeutet nicht, dass wir es nicht genießen sollen. Vielmehr ist es ratsam, sich nicht in seiner Selbstdefinition beeinflussen zu lassen, qua- si: Unabhängig davon, ob du mich toll findest, ich bin, wer ich bin. Ich freue mich aber, dass du an mir Freude hast. Lob verbindet. In menschlichen Gemeinschaften ist es ein Urbedürfnis, sich verbunden zu wissen. Das gewährt Sicherheit. Mit dem Lob empfindet der Mitarbeiter, dass er sicher zur Firma, zur Gemeinschaft gehört und von ihr gestützt wird. Ein Mangel an Lob führt bei Mitarbeitern zur Verunsicherung, und diese zur Selbstbeschäftigung. Will man, dass Mitarbeiter sich mit dem Zweck und dem Ziel der Firma beschäftigen und nicht mit sich selbst, ist es unumgänglich, zu loben. Loben heißt bewerten. Ob wir loben oder tadeln, wir bewerten den anderen. Das bedeutet, dass man