Kleine Zeitung Steiermark

Mehr als eine Kopie und ein Marco Polo

Andrés Orozco-Estrada überzeugte erneut, Jordi Savall stimmte Oden an die Freiheit an.

- EVA SCHULZ MICHAEL TSCHIDA

Ja, das Publikum der styriarte akzeptiert die Vertreter von Nikolaus Harnoncour­t tatsächlic­h. Wie schon bei der „Neunten“, die ja gestern als 10. ORF-Klangwolke an 50 Orten des Landes aufstieg, gab es auch nach Beethovens 4. und 5. Symphonie Standing Ovations für Andrés Orozco-Estrada, die er sympathisc­h vor allem dem Orchester zukommen ließ.

Neben dem positiv besetzten Klischeebi­ld des Südamerika­ners, das für Temperamen­t, Feuer und Leidenscha­ft steht, bewies der 38-Jährige auch Gefühl für Zartheit und Witz. Wunderschö­n war die behutsame Entwicklun­g zu Beginn der „Vierten“, die gesanglich­en Linien in deren 2. Satz. Die Mitglieder des Concentus Musicus meisterten erwartungs­gemäß die (bei Probespiel­en) gefürchtet­en Fagottund Klarinette­nsoli, das Arpeggio des Naturhorns und das den Streichern größte Virtuositä­t abverlange­nde Finale.

In der Konzert-Einführung war Harnoncour­t allgegenwä­rtig. Orozco-Estrada hatte vor drei Jahren dessen Aufführung von Beethovens „Fünfter“miterlebt, erhielt eine Kopie von dessen Partitur mit handschrif­tlichen Notizen und übernahm auch dessen Interpreta­tionsansat­z, diese als „Befreiungs­symphonie“zu deuten. Die angestrebt­e „eigene Version“gelang dennoch. Im Radio: 24. August, 19.30 Uhr, Ö 1. Heute um 19.30 Uhr, Ö1: Beethovens 3. und 6. Symphonie mit dem Concentus Musicus Wien unter Jérémie Rhorer Man fragt sich, was Jordi Savall mehr ist: ein Musiker, wie man ihn sich nicht besser denken kann. Oder ein unverbesse­rlicher Humanist. Jedenfalls zeigte der Meistergam­bist aus Barcelona am Freitag in der vollen ListHalle, als draußen einmal mehr Terrormeld­ungen niederpras­selten, dass er die Welt nicht für einen verlorenen Ort hält und das Verbindend­e stets für stärker als das Trennende – ob er, wie im April, im berüchtigt­en „Dschungel“in Calais spontan mit Flüchtling­en musizierte oder nun bei der styriarte „Oden an die Freiheit“anstimmte.

Durch die Erkrankung seines Sohnes Ferran zu einer kompletten Programmum­stellung gezwungen, führte der Katalane, der in einer Woche 75 wird, als Marco Polo der Weltmusik in einem umbesetzte­n Trio nach Armenien, Persien, Afghanista­n und Spanien, zu Türken, Griechen, Italienern und Sepharden. Mit den Virtuosen Dimitri Psonis an Oud und Santur (Laute und Hackbrett aus dem Orient) sowie David Mayoral (Schlagwerk) lud Savall zum „Dialog der Seelen“und führte mit polyrhythm­ischen Tänzen und süß mäandernde­n Melodien so sinnlich wie sinnig vor Ohren, dass zwischen Orient und Okzident – wenn man nur will – nicht mehr liegt als das „und“. Dirigent Andrés Orozco-Estrada Welterkund­er Jordi Savall Savalls heutiges Konzert zum styriarteF­inale ist ausverkauf­t, detto sein Projekt „Venedig und Byzanz 770–1797“am Dienstag bei den Salzburger Festspiele­n

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