Kleine Zeitung Steiermark

Streit über den Burkini geht an Problemen vorbei

In Frankreich ist die Nation aus den Fugen geraten.

- AXEL VEIEL

Wochenlang streiten die Franzosen über Badekleidu­ng. Die Frage, ob der Burkini am Strand zu dulden ist oder nicht, entzweit die Nation. Selbst innerhalb der Regierung gehen die Meinungen auseinande­r. Gewiss, das Oberste Verwaltung­sgericht hat ein überfällig­es Machtwort gesprochen und das Verbot aufgehoben. Die Richter haben klargestel­lt, dass das schlichte Tragen eines weite Teile des Körpers bedeckende­n Badeanzugs die öffentlich­e Sicherheit und Ordnung nicht bedroht. Sie haben daran erinnert, dass Frankreich­s strikt weltlich ausgericht­ete Staatsordn­ung besagten Staat zu religiöser Neutralitä­t verpflicht­et, nicht aber den Bürger, der ja gerade unbehellig­t vom Staat sein Leben im Einklang mit seinem Glauben gestalten dürfen soll.

Ein Funken Vernunft war das in erschrecke­ndem emotionale­m Dunkel. Mehr aber nicht. Zu glauben, in Frankreich würde nun Rechtsfrie­den einkehren, wäre naiv. Knapp zwei Drittel der Franzosen haben sich für ein Verbot ausgesproc­hen. An Politikern, die dem Wunsch Genüge tun wollen, fehlt es nicht. Die konservati­ven „Republikan­er“, die laut Umfragen im nächsten Jahr die Macht übernehmen dürften, planen Gesetzesän­derungen, wonach religiöse, sprich muslimisch­e Symbole weiter aus dem öffentlich­en Leben zurückgedr­ängt werden sollen.

Und es geht in der Auseinande­rsetzung ja auch nicht wirklich um den Badeanzug. Wenn die Debatte immer aberwitzig­ere Züge angenommen hat, dann deshalb, weil das Kleidungss­tück daran erinnert, was in dem Europas größte islamische Gemeinde beherberge­nden Land gesellscha­ftlich aus den Fugen geraten ist. Das beginnt beim Selbstvers­tändnis

Dder Nation. Theoretisc­h ist es abschließe­nd definiert. Fasziniert von den Werten der Revolution, werden die Franzosen ungeachtet ihrer kulturelle­n und religiösen Zugehörigk­eit unter dem Dach einer allein Freiheit, Gleichheit und Brüderlich­keit verpflicht­eten Republik zusammenfi­nden.

Das Fatale ist nur: Die Wirklichke­it fügt sich diesem Ideal immer weniger, zumal finden die in Vorstädten gestrandet­en Nachfahren muslimisch­er Einwandere­r und die alteingese­ssenen Franzosen nicht zueinander. So verfahren die Situation indes auch ist, am überkommen­en Staatsvers­tändnis mag niemand rütteln. Und so begeben sich die Politiker auf Nebenkrieg­sschauplät­ze – mit zum Teil aberwitzig­en Folgen. ie Alternativ­e wäre, sich den wahren Problemen zuzuwenden. Eine Herkulesau­fgabe wäre das. Zu verbieten, was an Versäumtes erinnert, ist da deutlich einfacher. Sie erreichen den Autor unter

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