Fenster mit Türen, Wörter an der Wand
Die Grazer Kirche St. Andrä verwandelte sich unter Hermann Glettler in einen einzigartigen Raum des Dialogs zwischen Kunst und Religion.
Einzigartig. Ein Attribut, mit dem man vorsichtig umgehen sollte. Im Fall der „Kunstkirche“, die der scheidende Pfarrer Hermann Glettler im Grazer Bezirk Gries über mehr als eineinhalb Jahrzehnte hinweg eingerichtet hat, trifft es aber zu.
Dem Seelsorger und Künstler Glettler ist es in St. Andrä gelungen, einem Kirchenraum nach und nach zeitgenössische Kunst zu implantieren und sie mit ihrem Umfeld und den Menschen darin in vielfältigen Dialogen fruchtbar zu machen. Keine selbstverständliche, keine leichte Aufgabe. Für ihre Bewältigung wird Glettler im November den HannsKoren-Kulturpreis des Landes Steiermark entgegennehmen dürfen.
Keine leichte Aufgabe, obwohl Glettler sie in einer Atmosphäre angehen konnte, in der sich Kirche und „moderne“Kunst schon geraume Zeit nicht als Widerspruch empfanden. Das Buch „Sakral : Kunst“ist die beeindruckende Bilanz „innovativer Bildorte“quer durch die Steiermark.
Was dem engagierten Pfarrer zugutekam: Die ursprünglich barocke St.-Andrä-Kirche war im Zweiten Weltkrieg schwer in Mitleidenschaft gezogen worden, unter anderem waren alle Fenster zerstört. Die erste Kunstpräsentation war 1999 dennoch eine im Innenraum. Der Bildhauer Thomas Stimm zeigte markante Blumenskulpturen aus Beton.
Spiegelungen
2001 schuf Gustav Troger mit einem verspiegelten Altar die erste permanente Artikulation zeitgenössischer Kunst. 2002 gestaltete Markus Wilfling das erste Fenster bzw. eine „Tür im Fenster“. 14 weitere Kunst-Fenster folgten, nach Konzepten von Manfred Erjautz, Lois Weinberger, Michael Kienzer, G.R.A.M., Johanna Kandl, Resanita, Veronika Dreier . . .
Keineswegs leichte Kunstkost, die Glettler aber mit behutsamer Beharrlichkeit seiner Gemeinde schmackhaft machen konnte. Auch bei zahlreichen Aktionen oft mit Provokationspotenzial zeigte Glettler als Vermittler beeindruckende Qualitäten. Ein einziges Mal (bei Peter Sandbichlers Intervention mit Heinz von Foersters Satz „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“) sah Glettler Grenzen überschritten und ließ die Arbeit entfernen (im Buch „Andrä Kunst“fehlt sie aber nicht).
Außenwirkung
2011 war es einmal mehr Gustav Troger, der St. Andrä auch außen als ungewöhnliche Kirche kenntlich machte. Aus Farbkarten der Firma Adler wählte der Künstler fünfzig Begriffe und ließ sie in den ihnen zugeordneten Farben auf der gesamten Fassade anbringen. Sein Lieblingsbegriff, sagt Glettler im erwähnten Buch, sei „Skepsis“. Sein Glaube an die vielfältig erhellende Kraft von Kunst ist davon offenbar nicht betroffen. Der Pfarrer, der nun zum Bischofsvikar berufen wurde, betrachtet das Kunstprojekt St. Andrä als beendet. Buchtipps: Andrä Kunst. Bibliothek der Provinz. 344 Seiten, 26 Euro Sakral : Kunst. Innovative Bildorte seit dem II. Vatikanischen Konzil in der Diözese Graz-Seckau. Schnell+ Steiner. 336 Seiten, 35 Euro