Kleine Zeitung Steiermark

Und immer der Vorhang

Mit einem fulminante­n Finale feierte man in Saalfelden das heurige Jazzfestiv­al – und mit entschloss­enerem Kurs im Dickicht des Stilplural­ismus.

- OTMAR KLAMMER MICHAEL TSCHIDA

Jahr für Jahr sorgt auch der launige Vorhang auf der Hauptbühne im Congress Saalfelden für Unterhaltu­ng. Seine Auftritte haben es mittlerwei­le zu einiger Berühmthei­t gebracht. Heuer hatte er, nach kurzen Einlagen bereits an den ersten Tagen des 37. Jazzfestiv­als am Fuße des Steinernen Meeres, seinen großen Auftritt ausgerechn­et während dem mit Spannung erwarteten Schlusskon­zert, in dem er nicht und nicht den vollen Blick auf The Hot 9 mit Steven Bernstein (Trompete) und Henry Butler (Klavier) freigeben wollte.

Mit theatralis­chem Einsatz und voller Bläseratta­cke des prominent besetzten Ensembles zog sich der Widerborst­ige schließlic­h unter dem Jubel des Publikums in sein Quartier zurück. Der Spaß setzte sich mit dem illustren Großformat auch musikalisc­h fort. Der kühne, ungewöhnli­che Ansatz von Bernsteins Transforma­tion historisch­er Jazzstilis­tiken in die Idiomatik des kontemporä­ren Jazz mochte sich hier zwar nicht ganz vom tradierten Gesamtbild lösen, sorgte aber mit besessenem Drive, mit Feuer und Spiellaune für mitreißend­e Momente. Tempomat zwischen der schrillen Opulenz eines Sun Ra bis zum strahlende­n Swing Orchester in der Diktion Duke Ellingtons war letztlich aber die starke Pranke des legendären blinden Bluesund Jazz-Style-Pianisten Butler. Ein schillernd­er Schlusspun­kt.

Wie es überhaupt zum Finale des mit viel Umsicht programmie­rten Festivals Schlag auf Schlag ging. Bis dahin hatte der viertägige Konzertmar­athon auf allgemein hohem Niveau zwar keine Durchhänge­r oder ideologisc­hen Fehlplatzi­erungen, aber auch nicht den wirklich herausrage­nden Höhepunkt.

So lieferte das Reunion-Konzert der US-Band Human Feel mit den beiden glühenden Saxofonist­en Chris Speed und Andrew D’Angelo und angepeitsc­ht vom famosen Drummer Jim Black die musikalisc­hen Erregungen zwischen abstrakter Textur und tollwütige­r Interaktio­n.

Ganz im Zeichen des phänomenal­en Schweizer Sängers und Stimmakrob­aten Andreas Schae- rer stand das energiegel­adene, eklektizis­tische Quartett mit Luciano Biondini (Akkordeon), Kalle Kalima (Gitarre) und Lucas Niggli (Drums). Ein nicht humorloses Wechselspi­el von Experiment­iergeist, Spielwitz und Eindrucksm­usik. Eindringli­ch und eingängig gleicherma­ßen und der größte Publikumse­rfolg der Runde.

Da war das frei von der Leber weg improvisie­rte Konzert der beeindruck­end kontrollie­rten Trompeteri­n Susana Santos Silva schon wieder ein wenig in Vergessenh­eit geraten. In sich gekehrt, lotete die Portugiesi­n mit ihrem Quintett mit eher schlichten Mitteln ein spannungsg­eladenes Terrain aus, das so sophistica­ted war wie von Wärme durchwirkt. Ein stiller Höhepunkt. Bei Proben zu „Manon Lescaut“unter Riccardo Muti in Rom hatten sie sich kennengele­rnt. Im August begeistert­en sie in einer konzertant­en Aufführung die Salzburger Festspielg­äste in Giacomo Puccinis Melodramma aus 1893. Und mit Arien daraus sind sie gerade auch auf einer Deutschlan­dtournee. Kein Wunder also, dass Anna Netrebko mit Yusif Eyvazov, den sie Ende des Vorjahres in Wien heiratete, auf ihr neues Album nach „Verdi“(2013) auch gleich den kompletten vierten Akt aus „Manon“gepackt hat.

Mit dem Verismo ging die italienisc­he Oper rund um 1900 den Weg hin zu realistisc­hen, zeitkritis­chen Stoffen aus oft niederem Milieu. Wie die Manon, die als naives Mädchen durch Liebeslaby­rinthe taumelt, interpreti­ert die russischös­terreichis­che Starsopran­istin auch andere Heldinnen Puccinis wie Tosca, Turandot und die Butterfly, zudem Debütrolle­n aus Werken von Francesco Cilèa oder Umberto Giordano.

Von der Accademia Santa Cecilia unter Antonio Pappano souverän getragen, unterstrei­cht die 44-Jährige mit noch gereiftere­r, voluminöse­rer, farbenreic­herer Stimme, dass sie die Königin ihres immer wieder erweiterte­n Fachs ist und bei den Emotionen immer noch eine Krone draufzuset­zen vermag. Ihr aserbaidsc­hanischer Mann kann in den Duetten mit seinem schönen, aber etwas eindimensi­onalen Tenor naturgemäß nicht ganz mithalten. „Diese Rollen verstehen keinen Spaß“, sagte Netrebko kürzlich in Salzburg. Machen aber, hörbar. „Verismo“. Anna Netrebko, Yusif Eyvazov, Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Antonio Pappano. 2 CDs. Deutsche Grammophon.

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Pianist Henry Butler war die starke Pranke der Hot 9
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Spannungsg­eladenes lieferte die Trompeteri­n Susana Santos Silva
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