„Wir brauchen
Egon Kapellari, der emeritierte Bischof von Graz-Seckau, über Integration, Bergpredigt, Herzlosigkeit und blauäugigen Idealismus.
HINTERVIEW err Bischof Kapellari, was muss aus Ihrer Sicht geschehen, auch innerhalb der Kirchen, damit der Kontinent an dieser Krise von Flucht und Integration nicht zerbricht? EGON KAPELLARI: Ich plädiere dafür, dass die Kirche auf jeder Ebene ihrer Verantwortung einen realistischen Idealismus findet und nicht einen noch so gut gemeinten „Nur-Idealismus“, den man im Jargon oft blauäugig genannt hat, und nicht grundlos. Die Bergpredigt ist ein Zielhorizont, der unverzichtbar ist. Aber er kann nicht auf die Ebene einer Staatsverfassung eins zu eins heruntergebrochen werden. Die Spannung zwischen einem Ideal, das bleiben muss – sonst verlieren wir unsere Identität – und der Wirklichkeit kann nicht aufgehoben werden durch einen Idealismus, der die Wirklichkeit außer Acht lässt.
Welche Schwierigkeiten sehen Sie voraus? KAPELLARI: Wenn die Zahl der Immigranten – nicht nur Flüchtlinge, auch andere, die ein besseres Leben wollen, was verständlich ist –, wenn die Zahl rasch größer wird, dann gibt es eine programmierte Instabilität. Und die hält der Kontinent nicht aus, außer er würde Zustände wie im Libanon oder in Jordanien aushalten. Das wollen wir nicht, und ich glaube nicht, dass es unsere Berufung ist. Daher ist ein Realismus, der sagt, wir schaffen nicht alles, nicht eine Konsequenz von Herzlosigkeit, sondern eine Synthese von Vernunft und Glauben. Andererseits sollten in dieser Frage nur solche mitreden, die wirklich selber, privat und im kleinen Kreis helfen und Not lindern, bis es ihnen wehtut. Aber dann, wenn sie das tun – man tut es ja nie genug –, dann muss auch klar werden, dass die Verfassung eines Staates nicht einfach die Bergpredigt voll integrieren kann. Die Bergpredigt bleibt darüber. Bismarck soll gesagt haben, man kann mit der Bergpredigt keinen Staat regieren. Ich stimme dem zu. Ich füge aber hinzu, ohne reichlich gelebte Elemente der Bergpredigt korrumpiert und korrodiert ein Gemeinwesen und sogar die Kirche. Ideal und Wirklichkeit müssen zusammenbleiben. Und dazwischen lebt man und man darf nicht bequem leben, man muss aber Ideale haben, die geerdet sind.
Hauptproblem der massiven Einwanderung des letzten Jahres ist der religiöse Unterschied. Das führt uns zum Thema Islam. Was müssen nicht nur die Christen tun, damit das Zusammenleben auf diesem Kontinent eines Tages gelingen kann? KAPELLARI: Wir haben einige Hebel, um offensives Falschtun zu