Kleine Zeitung Steiermark

Vizekanzle­r vom Winde verweht

Sigmar Gabriel ist die Wetterfahn­e auf dem Dach der Sozialdemo­kraten.

- HENRYK M. BRODER BRIEF AUS DEUTSCHLAN­D

Stellen Sie sich bitte einmal Folgendes vor: Ihr Mann schnarcht, will sich aber nicht auf Apnoe untersuche­n lassen. Ihre Frau verjubelt das Haushaltsg­eld für Sonderange­bote. Der Sohn hat keine Lust mehr auf Schule und die Tochter einen Freund, der mit Drogen handelt. Statt das Problem dort anzugehen, wo es seinen Ursprung hat, also in der Familie, bringen Sie es in der Hausversam­mlung zur Sprache. Sie sagen, Ihre Familie hätte Sie schwer enttäuscht, die Angehörige­n wären allesamt Versager, so könnte es nicht weitergehe­n. Würden Sie nicht machen, nicht wahr? Sie kämen sich dabei blöd vor. Und die anderen Bewohner des Hauses würden denken: Hat er/ sie noch alle? Kann er/sie das nicht daheim erledigen? enau das ist am Wochenende passiert. Sigmar Gabriel, Vorsitzend­er der SPD und Vizekanzle­r im Kabinett von Angela Merkel, hat die Kanzlerin frontal angegriffe­n. Nicht zum ersten Mal, aber in einer bis dahin nicht gekannten Heftigkeit. Sie habe, sagte ihr Stellvertr­eter im Interview, in der Flüchtling­skrise versagt, immer nur „Wir schaffen das!“gerufen, statt die Voraussetz­ungen dafür zu schaffen, „dass wir es auch hinkriegen“. Nun wäre eine „Obergrenze für Integratio­n“vonnöten. Wenig später bekräf-

Gtigte er die Vorwürfe in einer Pressekonf­erenz. Worauf Peter Tauber, der Generalsek­retär der CDU, erwiderte, Gabriels Äußerungen wären „nicht nur eine bodenlose Unverschäm­theit, sondern in der Sache auch noch falsch“. Das war nicht nett, aber in der Sache richtig. Gabriel konnte sich wohl

Gnicht erinnern, dass er vor einem Jahr mit einem „Refugees Welcome“-Button am Revers auf der Regierungs­bank gesessen hatte. Dass er nie eine „Obergrenze für Integratio­n“gefordert und alle Entscheidu­ngen der Regierung mitgetrage­n hatte. Man muss schon ein extrem poröses Gedächtnis haben, um sich dermaßen zu täuschen. Oder „die Menschen draußen im Lande“für sehr dumm halten. abriel hat keine Prinzipien, aber ein Gefühl dafür, woher der Wind weht. Er ist die Wetterfahn­e auf dem Dach der SPD. Und die bläht sich auf, wenn ein Sturm aufzieht. Kommenden Sonntag wird das Parlament in Mecklenbur­g-Vorpommern neu gewählt. Henryk M. Broder ist Kolumnist der „Welt“und „Weltwoche“

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