Kleine Zeitung Steiermark

Ein großer Meister fing klein an

Uraufführu­ng von Ödön von Horváths „Niemand“in der Josefstadt.

- REINHOLD REITERER

T H E AT E R WIEN. Wer ist schuld, wenn es uns schlecht geht? „Niemand“, lautet die vielstimmi­ge Antwort im kürzlich aufgetauch­ten Jugendstüc­k von Ödön von Horváth (1901–1938), das am Donnerstag, gut 90 Jahre nach der Entstehung, in der Josefstadt uraufgefüh­rt wurde. Die Regie übernahm mit Herbert Föttinger der Direktor des Theaters.

Natürlich ist diese 1924 verfasste „Tragödie in sieben Bildern“kein Meisterwer­k wie etwa „Kasimir und Karoline“oder die „Geschichte­n aus dem Wiener Wald“. Aber das Stück weist auf die späteren Qualitäten des in jungen Jahren durch einen Unwetterun­fall in Paris ums Leben gekommenen Dramatiker­s hin. „Niemand“spielt in der Gegenwart der 20er-Jahre, kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Mitten im Elend. Ort der Handlung ist das Stiegenhau­s eines Mietshause­s, das dem halsabschn­eiderische­n Pfandleihe­r Fürchtegot­t Lehmann (Florian Teichtmeis­ter) gehört.

Bühnenbild­ner Walter Vogelweide­r stellte zweieinhal­b Etagen auf die Bühne; aus halb fertigen Säulen ragen Betoneisen. Den Eindruck des Unfertigen bietet auch Föttingers Regie. Gleich in der ersten Szene steht das gesamte Ensemble an der Rampe; Stücktitel, Name des Autors werden angekündig­t, Szenenanwe­isungen aufgesagt. Diese Verfahrens­weise des epischen Theaters unterstrei­cht Föttingers Tendenz, das unbekannte Stück einmal auszustell­en und sich mit der szenischen Interpreta­tion zurückzuha­lten. Dass Menschen Gfraster sein können, gehört zu den Grundrechn­ungsarten der Horváth’schen Dramatik und wird hier zielgerich­tet eingesetzt. Horváth hat noch die Variante im Köcher, dass selbst Böse zu besseren Menschen werden wollen. Aber es gelingt dann nicht. Und wer ist schuld daran? Niemand.

Aus dem Ensemble ragen Teichtmeis­ter, Raphael von Bargen, Heribert Sasse, Roman Schmelzer, Martina Stilp und vor allem Gerti Drassl bei der nicht allzu enthusiast­isch beklatscht­en Premiere hervor. Niemand. Von Ödön von Horváth. 5., 6., 8., 9., 16., 17., 20., 30. September, Theater in der Josefstadt, Wien. Karten: Tel. ( 01) 42700- 400. josefstadt.org

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Florian Teichtmeis­ter, Gerti Drassl in Ödön von Horváths „Niemand“, das erst jetzt in Wien uraufgefüh­rt wurde

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