Kleine Zeitung Steiermark

LEITARTIKE­L Scheitern ist verboten

Kerns Masterplan hat zahllose Schwachste­llen. Eines geht sicher nicht: das Vorhaben als unrealisie­rbare Träumerei abzutun – um weiterzuma­chen wie bisher. Dann muss Plan B her.

- Michael Jungwirth michael.jungwirth@kleinezeit­ung.at

Man kann von Christian Kerns Plan A halten, was man will, über jeden Punkt trefflich streiten, das Papier als mutiges, visionäres Projekt würdigen. Man kann auch die Ansicht vertreten, die 146 Seiten sind ein verspätete­r Wunsch ans Christkind, der nie umgesetzt wird, weil das Vorhaben an unserer Realverfas­sung zerschellt.

Man kann die Senkung der Lohnnebenk­osten um drei Milliarden, die Entrümpelu­ng der Gesetze, den schlanken Staat als undurchfüh­rbar abtun. Man kann diese radikalen Forderunge­n auch als unverzicht­baren Schritt ansehen, um Österreich in einem globalisie­rten Umfeld als Standort abzusicher­n.

Man kann Kerns Einlenken bei der zwölfstünd­igen Arbeitszei­t als ausbeuteri­sche Maßnahme abqualifiz­ieren, man kann sie auch als notwendige­s, arbeitspla­tzsichernd­es Vorhaben einstufen, um Unternehme­n das Überleben zu sichern und den Betroffene­n nebenbei die 3,5 Tage-woche zu ermögliche­n.

Man muss Kerns Schweigen zu den Pensionen als Kotau vor Gewerkscha­ft, Arbeiterka­mmer, Pensionist­en brandmar- ken, gleichwohl er bei Uni-zugang oder Arbeitszei­t den roten Rubikon übersprung­en hat.

Man kann Kerns Forderunge­n nach einem Mindestloh­n von 1500 Euro und seine Beschäftig­ungsgarant­ie für Leute über 50 als Utopie würdigen, man kann die Vorschläge als unfinanzie­rbare, sozialpoli­tische Träumerei, die auf einem falschen Staatsvers­tändnis fußt, in Bausch und Bogen verdammen.

Man kann Kerns Idee einer Gratiskind­erbetreuun­g zwischen eins und sechs oder das Gratistabl­et für alle Schüler als bildungspo­litische Avantgarde betrachten. Man kann auch argumentie­ren, vielleicht sollten nur die weniger begüterten Familien in den Genuss kommen.

Man kann Kerns moderates Mehrheitsw­ahlrecht (Aufschlag von zehn Ministerpo­sten auf die Mehrheit) als leicht durchschau­bares Manöver vorführen, um nach der Wahl eine

EKoalition mit Grünen und Neos zu schmieden. Man kann auch der Ansicht sein, klare Mehrheiten in der Regierung seien wichtiger als eine getreu dem Wahlergebn­is zusammenge­setzte Parlaments­mehrheit.

Man kann Kern vorhalten, das Projekt sei finanziell auf Sand gebaut, man darf ihm allerdings zugutehalt­en, dass er sich damit befasst hat – im Unterschie­d zur Övp-perspektiv­engruppe und dem einstigen Modell Steiermark, wo man die Finanzfrag­e als lässliches Detail vom Tisch gewischt hat.

Man kann Kerns ambitionie­rten Plan als geniales Modernisie­rungsproje­kt für Österreich würdigen. Man kann auch argumentie­ren, eine Pr-agentur hätte kein besseres Produkt in Sachen Eigenverma­rktung abliefern können. ins geht nicht: Kerns Plan A mit einem zynischen Unterton pauschal als unrealisie­rbare Träumerei abzutun – um weiterzuma­chen wie bisher. Wer sich als Besserwiss­er aufspielt, sollte lieber einen Plan B vorlegen. Scheitern ist verboten. Scheitert Plan A oder ein womöglich besserer Plan B, ist auch Österreich gescheiter­t.

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