Kleine Zeitung Steiermark

Nach Bluttat: Angehörige kritisiere­n die Polizei

Landespoli­zeidirekti­on weist Vorwürfe zurück. Gestern verletzte der Beschuldig­te im Gefängnis fünf Justizwach­ebeamte.

- Von Hans Breitegger

Immer und immer wieder stach der 36-jährige Henning E. auf seine Ex-freundin Lydia K. (26) ein. Bis ihn die Polizisten überwältig­en konnten, hatte er der jungen Grazerin lebensgefä­hrliche Verletzung­en zugefügt. So geschehen Montagnach­mittag in einer Zweizimmer­wohnung eines Mehrpartei­enhauses am Grazer Schönaugür­tel. Der Umstand, dass die Tat praktisch vor den Augen der Polizisten geschah, löst Diskussion­en aus.

„Die haben zugesehen“, soll Lydia K. den Ärzten gegenüber bemerkt haben, als sie nach der Notoperati­on aus der Narkose aufgewacht war. Bestärkt durch diese Behauptung kritisiere­n die Eltern und die Schwester des Opfers den Polizeiein­satz.

Warum? Wie konnte so eine Bluttat praktisch vor den Augen der Polizisten begangen werden? Wie konnte das geschehen? Diese Fragen stellen sich nun die Angehörige­n. „Wir haben das Vertrauen in die Polizei verloren. Die Polizisten hätten viel schneller und entschloss­ener eingreifen müssen.“

Anders sieht die Polizei den Einsatz. Denn nach bisherigen Ermittlung­sergebniss­en hätte eine Verkettung unglücklic­her Umstände zur Bluttat geführt, so Oberst Joachim Huber von der Landespoli­zeidirekti­on. „Aus derzeitige­r Sicht wäre die Tat nicht zu verhindern gewesen.“Dennoch wird der Fall intern evaluiert, so Landespoli­zeidirekto­r Josef Klamminger. Und so soll der Einsatz abgelaufen sein: Nach Einlangen des Notrufs bei der Polizei fahren ein Polizist, eine Kollegin und eine Polizeisch­ülerin (alles junge Bedienstet­e) zur angegebene­n Adresse am Schönaugür­tel. Noch während der Fahrt erfahren sie, dass es um Henning E. geht, gegen den erst zwei Tage vorher ein Betretungs­verbot verhängt wurde. Als die Polizisten im zweiten Stock nach der Wohnung von Lydia K. Ausschau halten, steht ein Mann im schmalen Gang. Auf die Frage, ob er Hennig E. sei, antwortet er mit „Nein“. Ausweis habe er keinen dabei, erklärt er den Polizisten.

Diese wollen gerade die Identität feststelle­n, als plötzlich Lydia K. die Wohnungstü­r öffnet. Sie hatte durch den Türspion die Polizisten gesehen und nur deshalb aufgesperr­t. In diesem Moment erblickt sie auch ihren Ex-freund. „Das ist er“, schreit sie und versucht noch mit zwei Freundinne­n, die bei ihr zu Besuch sind, die Tür zuzudrücke­n. Es gelingt nicht, die Ereignisse überschlag­en sich.

Die Polizistin und ihr Kollege fassen den Mann, versuchen ihn festzuhalt­en, doch der hält plötzlich ein Messer in der Hand. Die Polizisten müssen ihn loslassen, um Stichverle­tzungen zu entgehen. Henning E. rennt in die Wohnung – es sind nur wenige Schritte ins Wohnzimmer. Dort sticht er etwa zehn Mal auf seine Ex-freundin ein. In diesem Augenblick trifft auch eine Sektorstre­ife ein. Ein Beamter ist am Wochenende dabei gewesen, als gegen den Deutschen das Betretungs­verbot verhängt wurde. Er kennt die Örtlichkei­t und den Verdächtig­en – und als er über Funk vom Einsatz hörte, fuhren er und sein Kollege ebenfalls los.

Sogar die speziell ausgebilde­ten Beamten brauchen einige Zeit, um den Beschuldig­ten überwältig­en zu können. Währenddes­sen drückt die Polizeisch­ülerin, die auch ausgebilde­te Rettungssa­nitäterin ist, mit ihren Händen die tiefen Schnittver­letzungen zu, so lan- ge, bis der Notarzt da ist. Sie rettet Lydia K. das Leben.

„Die Polizisten hätten schießen müssen“, sagt der Vater des Opfers. „Unmöglich, viel zu gefährlich. In der Wohnung waren noch drei kleine Kinder und zwei Frauen“, so die Polizei. Henning E. verletzte auch drei Polizisten. Gestern sollte er vom Haftrichte­r einvernomm­en werden. Auf dem Weg von der Justizanst­alt ins Gericht attackiert­e der Kampfsport­ler die Justizwach­ebeamten. Ergebnis: fünf Verletzte. Das bestätigte Sta-sprecher Hansjörg Bacher.

 ??  ?? Lydia K. mit ihrem Sohn (oben). Sie öffnete die Wohnungstü­r BREITEGGER 1, KK
Lydia K. mit ihrem Sohn (oben). Sie öffnete die Wohnungstü­r BREITEGGER 1, KK

Newspapers in German

Newspapers from Austria