„Das hat mit Manieren nichts zu tun“
Vor 20 Jahren trat Franz Vranitzky als Kanzler zurück. Ein Gespräch über den heute raueren Ton in der Koalition und den Flirt seiner Partei mit der FPÖ.
warnen. Die Chancen der beiden Regierungsparteien werden bei vorzeitigen Wahlen nicht besser.
Bei seiner Rede in Wels hat sich Bundeskanzler Christian Kern bei den verloren gegangenen Spö-wählern entschuldigt. Es sei die Schuld der Partei und damit auch seiner Vorgänger. Hat Sie das getroffen? Mich hat es nicht getroffen. Ich bin schon so lange weg, dass ich mich nicht angesprochen gefühlt habe. Aber damals wie heute gilt es, die eigene Bürgernähe regelmäßig zu überprüfen. Denn gefährlich wird es, wenn man sich diese nur einbildet. Ich verstehe also, dass er diesen Menschen ein neues Angebot machen will. Ist Ja. Kanzler Kern bürgernah?
Ihre Bürgernähe demonstrieren Politiker heute auch in sozialen Netzwerken. Wären Sie heute Bundeskanzler: Würden Sie sich auch auf Twitter und Instagram präsentieren? Ich fürchte, ja. Aber der springende Punkt ist nicht nur, dass sich Politiker dieser neuen Kommunikationsformen bedienen, sondern dass es ein großer Teil der Bevölkerung tut. Und dadurch kommen sie auch zu vollkommen neuen Einschätzungen der Politik. Denn diese Informationsrevolution trägt ja nicht nur dazu bei, dass sich die Menschen jetzt noch intensiver mit Politik beschäftigen können. Sie hat auch zur Folge, dass sich viele gar nicht mehr damit auseinandersetzen. Denn es gibt so viele andere Inhalte, Freizeitangebote und Unterhaltungsmöglichkeiten. Und damit auch mehr Ablenkung. Die Politik muss sich dieser Entwicklung bewusst werden, Schwerpunkte setzen und Wege suchen, um in positiver Hinsicht auf sich aufmerksam zu machen.
Sind die Wähler heute schwerer erreichbar? Wahrscheinlich. Dadurch entsteht eine immer größer werdende Kluft zwischen Politikern und Wählern. Die Konsequenz ist, dass sich viele Wähler immer häufiger fragen, warum sie sich überhaupt für Politik interessieren sollen. Denn beeinflussen könne man ja doch nichts.
Wie kann diese werden? Die Politik muss sich immer der Gefahr bewusst sein, dass sie schnell abgehoben wirken kann, und sie muss ständig um ihre Glaubwürdigkeit kämpfen. Tut sie das nicht, haben die Menschen den Eindruck, dass die Politik sie nicht versteht und sich nicht um sie kümmert. Kluft überbrückt Sie fühlen sich, wie man heute sagt, abgehängt. Und wenn es den Politikern nicht gelingt, den Menschen zu zeigen: „Das, was wir hier tun, tun wir für euch“, dann wird diese Kluft nur noch größer.
Gelingt Ihrer Überbrückung? Sie muss jeden Tag neu daran arbeiten. Politik ist immer gut, wenn sich ein großer Teil der Bevölkerung darin wiederfindet. Das muss man vermitteln. Und man muss seine politische Arbeit auch erklären. Partei diese
In der Politik der FPÖ finden sich laut einer aktuellen Umfrage mehr als ein Viertel der Österreicher wieder, die die Blauen in der Regierung sehen wollen. Kann die FPÖ besser erklären? Die FPÖ erklärt ja nichts. Sie hat sich einige Punkte ausgesucht – viele sind es nicht – und in ebendiesen Punkten kritisiert sie das Verhalten der Regierungsparteien. Und das ist leicht zu verstehen, denn dagegen sein ist ziemlich einfach. Aber Lösungen für das kritisierte Problem bietet die FPÖ erbärmlich wenige an.
Doch die langfristigen Lösungen der Koalitionsparteien lassen sich schwer verkaufen. Das stimmt sicher. Als die Regierung im Vorjahr eine Steuersenkung vorbereitet hat, hat es natürlich eine gewisse Zeit gedauert, bis alles durchgerechnet und rechtlich überprüft wurde. Und auch da wurden bereits viele Bürger ungeduldig und fragten sich, warum das nicht schneller geht.
„Vranitzky-doktrin“wurde in Ihrer Amtszeit das Verbot einer Zusammenarbeit zwischen SPÖ und FPÖ genannt. Wie erleben Sie den aktuellen Flirt Ihrer Partei mit den Freiheitlichen? Ich habe diesen Ausdruck nicht erfunden und verwende ihn auch nicht. Aber meine Entscheidung damals, mit der Jörghaider-fpö keine Koalition zu bilden, liegt 30 Jahre zurück. Und damals hatte die SPÖ im Parlament einen Mandatsstand von 42 Prozent. Ich konnte mir also den Koalitionspartner aussuchen und hatte einen ganz anderen Ellbogenspielraum. Heute ist die Innenpolitik mit einer Hofer-strache-fpö konfrontiert ...
Sie nennen Norbert Hofer vor Heinz-christian Strache? Alphabetisch. Die SPÖ hat sich jedenfalls darauf geeinigt, unter der Leitung des Kärntner Landeshauptmannes Peter Kaiser einen Kriterienkatalog zu entwickeln. Dann wird man sehen, welche Konsequenzen daraus gezogen werden.
Aktuell möchte die SPÖ am heimischen Arbeitsmarkt Konsequenzen ziehen. Für Arbeitnehmer aus ärmeren Eu-staaten soll dieser beschränkt werden. Eine sozialdemokratische Idee? Die Visegrád-staaten machen sich das Leben leicht, indem sie am Steuersenkungswettlauf teilnehmen und als Netto-empfänger viel Geld aus der EU bekommen. Für die Beschäftigung ihrer eigenen Bürger unternehmen sie aber wenig. Auf diese Weise exportieren sie Arbeitslosigkeit ins Ausland, in unserem Fall nach Österreich. Da ist es schon verständlich, dass sich eine österreichische Regierung überlegt, ob man das über sich ergehen lässt.
Ihnen wurde zwei Mal nahegelegt, als Bundespräsident zu kandidieren. Warum haben Sie abgelehnt? Ich war mein ganzes Berufsleben lang ein operativer und exekutiver Mensch und kein repräsentierender. Das wollte ich nie ändern.