OFFEN GESAGT Das missbrauchte Volk
Wenn Politiker das Wort Volk in den Mund nehmen, ist Vorsicht geboten. Wer den schwammigen Begriff beschwört, meint meistens etwas anderes.
Der Letzte in einer langen Reihe war Donald Trump. In seiner Rede zur Inauguration sagte der 45. Präsident der Vereinigten Staaten mit ausladender Geste auf die schüttere Menge der Zuhörer deutend: „Heute geben wir die Macht euch, dem Volk, zurück.“Zuvor hatte er all jene als korrupt geschmäht, die ebenjenes Volk in einer Demokratie zu vertreten haben, Kongress- und Senatsabgeordnete, mit denen Trump die nächsten vier Jahre wird regieren müssen.
Wen aber meint die direkte Anrede des „Volks“überhaupt? Das Volk oder besser die Bevölkerung ist ja keine kompakte, klar umrissene Masse, sondern eine bunte Mischung aus Menschen mit höchst unterschiedlichen Interessen, Bedürfnissen und politischen Meinungen. Die Demokratien westlichen Zuschnitts entwickelten komplizierte Regelwerke, die den Ausgleich dieser Interessen ohne Krieg möglich machen. Die Suche nach diesem Ausgleich ist ein mühseliger, langsamer und auch nicht sehr aufregender Prozess, der am Ende zu Kompromissen führt, die naturgemäß beide Seiten nicht völlig zufriedenstellen. Das ist die Schwäche der Demokratie und zugleich ihre unvergleichliche Stärke. Die Institutionen und ihre tatsächlich vom „Volk“als Ganzem gewählten Protagonisten madigzumachen, war oft der Auftakt zum Untergang dieser Regierungsform.
Trump ist nicht der Einzige, der mit diesem Begriff fahrlässig hantiert. Im ersten Interview nach dem Putschversuch in der Türkei verwendete der türkische Präsident Erdog˘an das Wort Dutzende Male, immer im Bemühen, „das Volk“gegen all jene auszuspielen, denen er den legitimen Vertretungsanspruch absprechen wollte. Wladimir Putin geht das Wort ebenso leicht so von der Zunge wie Viktor Orbán oder Marine Le Pen, die FPÖ hat ganze Wahlkämpfe damit bestritten.
Der polemische Gebrauch des Volkes durch Parteien ignoriert deren Natur. Partei kommt
Wvom lateinischen Wort „pars“, Teil. Parteien können schon von ihrem Gründungszweck her nie für sich beanspruchen, „das Volk“zu vertreten. Jede einzelne vertritt einen Teil davon. Je geschickter Politiker erspüren, was die Menschen bewegt, umso größer ist die Teilmenge, die zu vertreten sie beanspruchen können. „Das Volk“aber kann es nicht sein, nie. „Das Volk“als politischer Kampfbegriff gehört übrigens keineswegs nur zum Kernvokabular rechter Bewegungen. „Volksdemokratien“erstreckten sich über den gesamten Herrschaftsbereich des Kommunismus. Wo er sich halten konnte, unterscheidet man bis heute zwischen Volk und Volksfeinden. Die Grenze verläuft dort, wo sich Unterwerfung vom Widerstand gegen die totalitäre Herrschaft scheidet. er allein das Volk vertritt, erspart sich die mühsame Suche nach Kompromissen und scheint Eindeutigkeit und Klarheit zu schaffen, die es in der Demokratie nicht gibt und geben kann. Ganz nebenbei füllen sich die Gefängnisse mit all jenen, die anders denken.