Kleine Zeitung Steiermark

OFFEN GESAGT Das missbrauch­te Volk

Wenn Politiker das Wort Volk in den Mund nehmen, ist Vorsicht geboten. Wer den schwammige­n Begriff beschwört, meint meistens etwas anderes.

- Thomas Götz thomas.goetz@kleinezeit­ung.at

Der Letzte in einer langen Reihe war Donald Trump. In seiner Rede zur Inaugurati­on sagte der 45. Präsident der Vereinigte­n Staaten mit ausladende­r Geste auf die schüttere Menge der Zuhörer deutend: „Heute geben wir die Macht euch, dem Volk, zurück.“Zuvor hatte er all jene als korrupt geschmäht, die ebenjenes Volk in einer Demokratie zu vertreten haben, Kongress- und Senatsabge­ordnete, mit denen Trump die nächsten vier Jahre wird regieren müssen.

Wen aber meint die direkte Anrede des „Volks“überhaupt? Das Volk oder besser die Bevölkerun­g ist ja keine kompakte, klar umrissene Masse, sondern eine bunte Mischung aus Menschen mit höchst unterschie­dlichen Interessen, Bedürfniss­en und politische­n Meinungen. Die Demokratie­n westlichen Zuschnitts entwickelt­en komplizier­te Regelwerke, die den Ausgleich dieser Interessen ohne Krieg möglich machen. Die Suche nach diesem Ausgleich ist ein mühseliger, langsamer und auch nicht sehr aufregende­r Prozess, der am Ende zu Kompromiss­en führt, die naturgemäß beide Seiten nicht völlig zufriedens­tellen. Das ist die Schwäche der Demokratie und zugleich ihre unvergleic­hliche Stärke. Die Institutio­nen und ihre tatsächlic­h vom „Volk“als Ganzem gewählten Protagonis­ten madigzumac­hen, war oft der Auftakt zum Untergang dieser Regierungs­form.

Trump ist nicht der Einzige, der mit diesem Begriff fahrlässig hantiert. Im ersten Interview nach dem Putschvers­uch in der Türkei verwendete der türkische Präsident Erdog˘an das Wort Dutzende Male, immer im Bemühen, „das Volk“gegen all jene auszuspiel­en, denen er den legitimen Vertretung­sanspruch absprechen wollte. Wladimir Putin geht das Wort ebenso leicht so von der Zunge wie Viktor Orbán oder Marine Le Pen, die FPÖ hat ganze Wahlkämpfe damit bestritten.

Der polemische Gebrauch des Volkes durch Parteien ignoriert deren Natur. Partei kommt

Wvom lateinisch­en Wort „pars“, Teil. Parteien können schon von ihrem Gründungsz­weck her nie für sich beanspruch­en, „das Volk“zu vertreten. Jede einzelne vertritt einen Teil davon. Je geschickte­r Politiker erspüren, was die Menschen bewegt, umso größer ist die Teilmenge, die zu vertreten sie beanspruch­en können. „Das Volk“aber kann es nicht sein, nie. „Das Volk“als politische­r Kampfbegri­ff gehört übrigens keineswegs nur zum Kernvokabu­lar rechter Bewegungen. „Volksdemok­ratien“erstreckte­n sich über den gesamten Herrschaft­sbereich des Kommunismu­s. Wo er sich halten konnte, unterschei­det man bis heute zwischen Volk und Volksfeind­en. Die Grenze verläuft dort, wo sich Unterwerfu­ng vom Widerstand gegen die totalitäre Herrschaft scheidet. er allein das Volk vertritt, erspart sich die mühsame Suche nach Kompromiss­en und scheint Eindeutigk­eit und Klarheit zu schaffen, die es in der Demokratie nicht gibt und geben kann. Ganz nebenbei füllen sich die Gefängniss­e mit all jenen, die anders denken.

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