Begnadeter Wortschnitzer
Folge 9. Peter Turrini behauptet häufig und gerne, dass er zum „Tarnen und Täuschen“neige. Keine Tarnung ist seine Liebe zu Italien und zum Dasein als Wortschnitzer.
EDs gibt dafür keine Zeugen, also muss man es glauben oder für eine Erfindung halten: Jahrelang, erzählt Peter Turrini, habe er beim Autofahren Lieder von Adriano Celentano gehört. Wenn niemand mitgefahren sei, habe er falsch, aber inbrünstig seine eigene Stimme erhoben und „Azzurro“, „Yuppi du“oder „Una festa sui prati“zum Besten gegeben. Diese Schwäche für Italiens Popikone kommt nicht von ungefähr: Turrini singt nicht bloß mit, wenn ihm danach ist, er versteht auch, was Celentano singt.
Als Sohn eines Kunsttischlers aus Cerea bei Verona, den es 1932 nach Kärnten verschlägt, verfügt er über italienische Wurzeln, die im Leben und Werk des Autors deutliche Spuren hinterlassen. Dass er seinem Wesen nach ein Possenreißer sei, der zum „Tarnen und Täuschen“neige, führt er letztlich auf seine Herkunft zurück. Und keinem Land gegenüber ist er nachsichtiger: Ganz gegen sein kritisches Temperament will er sich das „Ideal“seines italienischen Heimatlandes nicht „verpatzen“lassen. abei hat er allen Grund, mit dieser Herkunft zu hadern. Turrinis Vater Ernesto, der sich nach Stationen in Klagenfurt und St. Margarethen mit seiner Familie in Maria Saal niederlässt, bleibt dort zeitlebens ein Fremdkörper, der zwar die ortsüblichen Tugenden, Schuften und Häuselbauen, nachahmt, aber es nie an den Stammtisch der Einheimischen schafft. Er sieht aus wie ein „Sendbote der Mafia“, der das Fremde, das er verkörpert, LITERATURGESCHICHTEN,
Wdurch radikale Sprachlosigkeit steigert. „Er sprach wenig“, heißt es im Gedichtband „Ein paar Schritte zurück“: „Ging nie fort. / Sperrte sich in seine Werkstätte ein / und schnitzte Barockstühle und Madonnen. / Selbst in der Heiligen Nacht / wenn alle Bauernkinder an der Hand ihrer Väter / zur Christmette gingen / blieb er in der verschlossenen Werkstatt / und arbeitete.“
Überdeutlich klingt hier an, dass die Isolation des Vaters auch den Sohn zum Außenseiter macht. Noch Jahrzehnte später erinnert sich Turrini an das „bedrohliche Gefühl“, das er als Kind hatte: „Dass der Vater ein Ausländer ist und irgendetwas nicht stimmt mit uns im Maria Saal der 1950er-jahre. Das kommt in mir oft so konkret hoch und ich weiß nicht, warum das nicht aufhört. Egal, ob es auf dem Schulweg gewesen ist, am Sonntag in der Messe oder im Gasthaus. Immer dieses Gefühl, die mögen dich nicht.“ie sehr sich Ausschluss und Verachtung am Italienischen entzünden, zeigt der schlampige Umgang mit Namen. Beim Begräbnis des Vaters spricht der Pfarrer den Namen des Geburtsortes so falsch aus, dass Turrini lauthals lachen muss. Und als bei der Erstkommunion die Reihe an ihm ist, stellt ihn der amtshandelnde Geistliche als Dorenig vor: „Er verkärntnerte meinen italienischen Namen, ob aus Absicht oder Fahrlässigkeit, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass ich mich für meinen
NNamen geschämt habe, nicht für den falschen, sondern für den richtigen.“ach und nach gelingt es Turrini, diese Scham in Selbstbewusstsein zu verwandeln. Und dabei wächst nicht bloß der italienischen Familie, sondern auch der italienischen Theaterkultur identitätsstiftende Bedeutung zu. Mit dreizehn Jahren besucht Turrini zum ersten Mal seinen Großvater Sebastiano, der das genaue Gegenteil seines schweigsamen Vaters verkörpert. Dass er den Spitznamen „Terror“(der „Terrorist“) trägt, kann als deutlicher Hinweis auf seine aufsässige, rebellische Natur verstanden werden.
DDer Romanist Joachim-peter Astoria schildert den Alten als „kleinen, drahtigen Mann“, der ausgesehen habe wie eine Figur aus Filmen Bernardo Bertoluccis: „Weißes Hemd, darüber ein Gilet mit Uhrkette, die Hose war natürlich schwarz wie das Gilet. Der völlig zerbeulte Hut auf dem kahlen Kopf gehörte ebenso zu seiner unverwechselbaren Erscheinung wie der stinkende Schwarze >Toscana< im Mund. Geriet er in Rage, riss er sich den Hut vom Kopf, schleuderte ihn auf den Boden und bearbeitete ihn mit Fußtritten.“er italienische Großvater wird zum Impulsgeber einer Haltung, die im Außenseiter nicht bloß das Opfer,