Kleine Zeitung Steiermark

An der Mur wählt man gerne flüssig

Nirgends sind die Wähler so wankelmüti­g wie in der bürgerlich­en Arbeiterst­adt Graz. Die Wahl im Februar ist ein wichtiger Test.

- Von Ernst Sittinger

Nagl wählen – diese schlichte Devise und ein grünes Dreiecksem­blem haben sich viele Grazer auf Facebook derzeit angeheftet. Es sind die Unterstütz­er des Grazer Langzeitbü­rgermeiste­rs Siegfried Nagl, der weit über die Grenzen seiner ÖVP hinaus auf Rückenwind zählen kann.

Nagl, 53 Jahre alter Innenstadt­kaufmann und vor zwei Jahrzehnte­n ein Spätumstei­ger in die Politik, führt seit 2003 die Regierungs­geschäfte im Rathaus und befindet sich in komfortabl­er Position: Obwohl er zum fünften Mal antritt und zum dritten Mal den Spitzenpla­tz verteidigt, gilt er schon vor dem Urnengang wieder als wahrschein­licher Wahlsieger. Verhandelt werden eigentlich nur das Ausmaß des Övp-vorsprungs und die Frage, ob die FPÖ oder die KPÖ mit Respektabs­tand Platz zwei belegt.

So eine Kontinuitä­t ist auf den ersten Blick erstaunlic­h, denn die Grazer Wähler sind für ihre hohe Mobilität bekannt. Bei den letzten vier Wahlen seit 2012 waren in Graz vier verschiede­ne Parteien vorne: bei der Gemeindera­tswahl die ÖVP, bei der Eu-wahl die Grünen, bei der Landtagswa­hl die SPÖ und bei der Nationalra­tswahl am Wahlabend die FPÖ. Die wurde dann zwar mit Wahlkarten noch von den Grünen überholt, doch der Befund gilt trotzdem: Graz ist bunt und unberechen­bar. Ideologisc­h gebundene Stammwähle­r gibt es kaum in jener Stadt, in der schon 1983 Grünaltern­ative in den Gemeindera­t einzogen.

Klaus Poier, Politikwis­senschaftl­er an der Uni Graz, führt das Tohuwabohu an der Urne auf soziologis­che Faktoren zurück: „Graz ist eine Mischung aus modern-urbanem Bürgertum und städtische­m Proletaria­t.“Da beides ausgewogen vorhanden sei, werde jedes Resultat möglich. Tatsächlic­h gibt es die Studentenv­iertel und Bürgerwohn­häuser, in denen neben der ÖVP eben gerne grün oder auch kommunisti­sch gewählt wird, und anderersei­ts „urrote“(Poier) Industrieg­ebiete, die SPÖ und verstärkt auch FPÖ wählen.

Die Wählermobi­lität kontrastie­rt allerdings auf eigentümli­che Weise mit personelle­r Kontinuitä­t an der Stadtspitz­e: In über 70 Jahren Nachkriegs­geschichte hatte Graz nur sechs Bürgermeis­ter, in den letzten 32 Jahren überhaupt nur zwei.

Sieht man von Kurzzeitst­adtoberhau­pt Franz Hasiba (ÖVP) ab, der von 1983 bis 1985 nur aufgrund einer „Halbzeitlö­sung“den Chefsessel wärmte, hat noch jeder Grazer Bürgermeis­ter mindestens ein Jahrzehnt regiert. Das gilt sogar für den Fpö-hardliner Alexander Götz, der 1973 per schwarzbla­uem Pakt ans Ruder kam und sich bis 1983 hielt.

Ein Sonderfakt­or ist in Graz die KPÖ: Partei-ikone Ernest Kaltenegge­r führte die einst schon historisch Abgeschrie­benen um die Jahrtausen­dwende als legendärer Wohnungsst­adtrat auf über 20 Prozent, seine stille Nachfolger­in Elke Kahr konnte den Höhenflug wider Erwarten prolongier­en. Dazu trägt bei, dass die Kp-politiker bis heute den Großteil ihrer Gehälter für Soziales spenden.

Arg ramponiert präsentier­t sich dagegen die frühere Mehrheitsp­artei SPÖ, die den Abgang ihres Langzeitbü­rgermeiste­rs Alfred Stingl (2003) im Grunde bis heute nicht verwunden hat. Flügelkämp­fe hatten zur Folge, dass die Stadtparte­i in den letzten acht Jahren acht Vorsitzend­e hatte. Ihr letzter Zugewinn bei Stadtwahle­n datiert überhaupt schon aus 1988. Die Grazer Wahl ist jedenfalls überregion­al von Belang – nicht nur für die rot-schwarzen „Koalitions­zwillinge“in der Landesregi­erung, Michael Schickhofe­r und Hermann Schützenhö­fer, die in Graz Landtagswa­hlen gewinnen oder verlieren können. Mit 223.000 Wahlberech­tigten ist der Grazer Wählertopf nur unwesentli­ch geringer als jener bei Landtagswa­hlen im Burgenland oder in Vorarlberg. Deshalb ist Graz auch bundesweit ein wichtiger Stimmungst­est.

Der Wahlkampf verlief bisher erstaunlic­h ereignislo­s – keine Partei konnte oder wollte starke

 ??  ?? „Nix is fix“: Graz ist seit Jahren Hochburg der Wechselwäh­ler KK
„Nix is fix“: Graz ist seit Jahren Hochburg der Wechselwäh­ler KK

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