Kleine Zeitung Steiermark

LEITARTIKE­L Keine Schonfrist

Alexander Van der Bellen hat sich seine Angelobung vermutlich angenehmer vorgestell­t. Nun muss er gleich am ersten Tag zeigen, wozu sein Amt taugt.

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Der heutige Tag hätte ein entspannte­s Volksfest für den künftigen Bundespräs­identen werden sollen, mit schönen Reden, Ritualen und einer Ordensverl­eihung für Verdienste, die noch zu erbringen sein werden. Es sollte anders kommen. Heute gilt es für Alexander Van der Bellen, als erste Amtshandlu­ng die Regierung daran zu hindern, sich genüsslich selbst zu entleiben.

Eigentlich müsste das ganz einfach sein. Ein kurzer Verweis auf die Folgen vorgezogen­er Wahlen sollte genügen.

Nur Verblendet­e können allen Ernstes glauben, sie könnten für den eigenen Misserfolg einfach Sabotage durch den Partner geltend machen. Glaubt Christian Kern wirklich, es könnte genügen, nach dem vorzeitige­n Zerbrechen seines Kabinetts mit fast leeren Händen vor die Wählerinne­n und Wähler zu treten und mit dem Finger auf die ÖVP zu zeigen? Glaubt Sebastian Kurz tatsächlic­h, er könnte nach Jahren im Kabinett, nach Monaten der diskreten Quertreibe­rei behaupten, die Missstimmu­ng in der Koalition habe mit ihm nie etwas zu tun gehabt?

Aber Kurz wird beim Gespräch hinter der Tapetentür in der Hofburg gar nicht dabei sein. Für die ÖVP spricht Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er, der einzige in dem Spiel, der reinen Herzens für die Fortdauer dieser Regierung eintritt. Er weiß, dass seine Zeit als Vizekanzle­r mit dem Ende dieser Koalition Geschichte ist. Das erleichter­t ihm die Zusammenar­beit mit dem Regierungs­partner – soferne ihm die eigene Partei dabei folgt.

Der Präsident, den beide Gesprächsp­artner zu wählen empfohlen hatten, wird hinter der Tapetentür auf die wackelige Statik dieser Dreierbezi­ehung keine Rücksicht nehmen dürfen. Er muss die hoffnungs- und besinnungs­los ineinander Verkeilten in klaren Worten daran erinnern, wozu sie gewählt wurden, was von ihnen erwartet wird und was nicht. Vielleicht gelingt ja so etwas wie

AKatharsis, eine Reinigung, die zur Entgiftung der Atmosphäre führt. Wenn nicht, sollte der Bundespräs­ident zu einem klaren Schnitt raten. Sonst bekommt der nächste Punkt des heutigen Festprogra­mms noch eine ungewollt prophetisc­he Note: Van der Bellen lädt nach dem Gespräch zum Buffet ins Jagd-zimmer.

Allmonatli­che Kündigungs­drohungen lähmen nicht nur die Arbeit, sie zersetzen auch das Fundament jeder Politik, das Vertrauen in die Lösungskap­azität der repräsenta­tiven Demokratie. Dann lieber vorgezogen­e Wahlen. Die Verantwort­ung für deren Folgen haben die Streithähn­e zu tragen, egal wem es letztlich gelingen sollte, den Schwarzen Peter im letzten Moment noch dem anderen zuzuschieb­en. lexander Van der Bellen kann nicht mehr tun, als den Streitende­n gut zuzureden, hinter verschloss­ener Tür und auch in aller Öffentlich­keit. Zwangsmitt­el hat er nicht, nur das Wort. Heute ist die beste Gelegenhei­t, es zu nutzen. Wer weiß, wann ihm wieder so viele Menschen zuhören werden?

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