Kleine Zeitung Steiermark

Der Mann, der die SPD auf Wolke sieben katapultie­rt

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ESSAY. Martin Schulz, der umtriebige Spd-kanzlerkan­didat, verspricht den Deutschen das Blaue vom Himmel und beschert der erfolgsent­wöhnten Sozialdemo­kratie damit einen historisch­en Höhenflug.

Wenn diese Woche Wahlen wären und wenn die Wählerinne­n und Wähler die Möglichkei­t hätten, den Kanzler direkt zu wählen, würden 50 Prozent für Martin Schulz stimmen und 34 Prozent für Merkel. Auch was die Parteipräf­erenz angeht, hat sich die SPD vor die CDU geschoben, wenn auch nur knapp: mit 31 Prozent zu 30 Prozent.

In der Union macht sich Endzeitsti­mmung breit, sogar dem stets gut aufgelegte­n Generalsek­retär Peter Tauber ist das Lachen vergangen, während die Sozialdemo­kraten über dem Boden schweben, als hätte sie David Copperfiel­d verzaubert.

„Tausende Menschen“sollen in den letzten Tagen der Partei beigetrete­n sein, die zwischen 1990 und 2016 ihren Mitglieder­bestand mehr als halbiert hat, von 940.000 Genossen und Genossinne­n auf 435.000. Ein Wintermärc­hen, ein Wunder, wie einst die wundersame Brotvermeh­rung und die Speisung der 5000 am See Genezareth? So ungefähr. Thorsten Schäferweg­e,

SGümbel, einer der stellvertr­etenden Spd-vorsitzend­en, nennt die Nominierun­g von Martin Schulz zum Kanzlerkan­didaten eine „Erlösung“. Acht Monate vor den Bundestags­wahlen sieht sich die SPD fast am Ziel. Auch Martin Schulz zweifelt nicht daran, dass er es schaffen wird. In einem kurzen Youtube-clip verspricht er: „Ich als künftiger Kanzler (werde) dafür sorgen, dass es (in Deutschlan­d) gerechter zugeht.“Gerechter als unter Merkel und Gabriel? Gerechter als unter Schröder und Fischer? Findet unter Schulz die Gerechtigk­eit wieder nach Deutschlan­d zurück? Wo hat sie sich denn all die Jahre versteckt? chulz war ab 1987 elf Jahre lang Bürgermeis­ter von Würselen bei Aachen. 1994 wurde er in das Europaparl­ament gewählt, von 2012 bis 2016 amtierte er als dessen Präsident, ein mit vielen Ehren und gutem Entgelt verbundene­r Job. Sein Hofstaat bestand aus über 30 Mitarbeite­rn, die seinen Terminkale­nder führten, seine Reden schrieben, seine Bemerkunge­n für die Nachwelt festhielte­n und seine Anweisunge­n ausführten. Daneben hatte er 14 Stellvertr­eter, die gelegentli­ch eine Sitzung leiten durften, wenn Schulz in der Welt unterwegs war.

Ende Mai letzten Jahres gab Schulz der „Welt am Sonntag“ein Interview, in dem er auf die Frage, ob er als Kanzlerkan­didat der SPD antreten möchte, antwortete: „Mein Platz ist in Brüssel.“Im Übrigen habe die SPD einen „sehr, sehr starken Partei- vorsitzend­en“, Sigmar Gabriel, den er, Schulz, „mit Haut und Haaren“unterstütz­en würde. Zu dieser Zeit sah es danach aus, als hätte Schulz eine Chance, zum dritten Mal zum Präsidente­n der Straßburge­r Kammer gewählt zu werden. Der umtriebige Rheinlände­r, der an keiner Kamera vorbeigehe­n kann, ohne ein Interview zu geben, hatte sich aber nicht nur viele Freunde, sondern auch einige Feinde gemacht. Einer weiteren Kandidatur stand zudem eine geheime Vereinbaru­ng vom Juni 2014 zwischen Schulz und den Konservati­ven im die nach fünf Jahren Schulz einen der Ihren auf seinen Platz hieven wollten. Als einfacher Abgeordnet­er weiterzuma­chen, kam für den von Erfolg verwöhnten Sozialdemo­kraten nicht infrage. Und so beschloss Schulz, in die Bundespoli­tik zu gehen. Was vor einer Woche als eine unter vielen Schmerzen geborene, spontane Entscheidu­ng Gabriels präsentier­t wurde, war ein sorgfältig geplantes Manöver, für Schulz die Chance seines Lebens. Der „Sohn einfacher Leute“– „meine Mutter war Hausfrau, mein Vater Polizist“– musste sich nur

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