Die Flucht endet wieder in Ruinen
Vor genau einem Jahr wurde die Balkanroute geschlossen. Seither gibt es am Belgrader Busbahnhof chaotische Zustände. Viele wollen nicht in staatliche Aufnahmezentren, weil sie Angst haben, abgeschoben zu werden.
REPORTAGE.
In alten Lagerhallen hinter dem Belgrader Busbahnhof hat sich das größte informelle Flüchtlingslager Europas gebildet. Nachts sinken die Temperaturen auf bis zu minus 16 Grad, zeitweise war die Donau eingefroren. In den heruntergekommenen Ruinen steigt beißender Rauch auf, weil mit Holz aus alten Balken der Schienenanlagen und Plastik geheizt wird. Richtig warm wird es trotzdem nicht.
Rund 1200 Menschen leben in den Baracken im Zentrum der serbischen Hauptstadt, die meisten kommen aus Afghanistan. Eine reine Männerwelt hat sich hier gebildet. Die Frauen und Mädchen leben in den serbischen Asyl- und Aufnahmezentren, doch die Männer in den Ruinen wollen dort nicht hin oder haben keinen Platz mehr bekommen.
Vor den verfallenen Hallen stehen Männer in einer kleinen Schlange an einer der beiden Wasserquellen des Lagers. Neben dem Schlauch, aus dem das Wasser kommt, steht ein rostiges Fass über einer Feuerstelle. Einer der Männer zeigt lächelnd darauf und sagt: „Das ist unsere Dusche.“Sanitäre Anla-
Sgibt es nicht. Die Not macht erfinderisch.
In einem der heruntergekommenen Gebäude steht der 14jährige Afghane Shohaib in einem blauen Trainingsanzug am offenen Feuer und hustet. Eine warme Jacke hat er nicht. Über seinen Oberlippen bildet sich ein kleiner Flaumansatz. Er ist einer von vielen unbegleiteten Minderjährigen in den Ruinen. Shohaib zeigt mit dem Finger auf eine Decke auf dem nackten und kalten Boden. „Dort schlafe ich.“Seine Lunge schmerzt, außerdem hat er Grippe. Er nimmt Antibiotika, so wie viele andere in den alten Lagerhallen. hohaib könnte versuchen, einen Platz in einem staatlichen Camp zu bekommen, aber er will in den Ruinen bleiben: „Ich will weiterkommen. Wer weiß denn, wie die mich dort behandeln und ob sie mich nicht abschieben.“Er hat auf seiner Reise schlechte Erfahrungen gemacht, sei von der bulgarischen Polizei geschlagen worden. Shohaib traut niemandem mehr. Das letzte Mal hat er vor zwei bis drei Monaten mit seinen Eltern gesprochen, als er noch in der Türkei war. Das Telefon seines Vaters ist jetzt ausgeschaltet, seitdem hat er den Kontakt verloren.
In den Ruinen herrscht großes Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen. Die meisten berichten, dass sie auf dem Weg schon betrogen, ausgeraubt oder geschlagen wurden. Insbesondere die bulgarische Polizei genießt einen schlechten Ruf. Einige erzählen auch, dass sie bereits in Ungarn waren und dann von der dortigen
Sgen Polizei geschlagen und zurückgeschickt wurden. hohaibs Ziel ist Frankreich, obwohl er dort niemanden kennt. Deutschland und Österreich geben nur noch wenige in den Ruinen als Ziel an. Es hat sich herumgesprochen, dass Deutschland neuerdings nach Afghanistan abschiebt und Österreich eine Obergrenze eingeführt hat.
Das Un-flüchtlingshilfswerk