Polen rächt sich und droht mit Blockade
Gegen den Willen der polnischen Regierung wurde Donald Tusks als Eu-ratspräsident beim Brüsseler Gipfel wiedergewählt.
Es war ein Tag der Premieren in Brüssel. Erstmals trafen sich die Staats- und Regierungschefs der EU im neuen Ratsgebäude mit dem schönen Namen „Europa“. Aber von Einigkeit war wenig zu spüren. Polens Regierungschefin Beata Szydło mochte einer weiteren Amtszeit ihres Landsmanns Donald Tusk als Ratspräsident nicht zustimmen. „Konsenssuche darf nicht zur Blockade werden“, befand Kanzlerin Angela Merkel.
So sahen es auch die anderen Eu-staaten und votierten für Tusk. Der führt nun bis Dezember 2019 weiter die Geschäfte der Eu-staaten in Brüssel. „Ich habe mit ihm gut zusammengearbeitet und werde das weiter tun“, sagte etwa Kommissionschef Jeanclaude Juncker. „Tusk hat einen guten Job gemacht“, sagte Kanzler Christian Kern. Nur Szydło blieb bei ihrer ablehnenden Haltung und blockierte das abschließende Gipfeldokument.
Zum letzten Mal war die EU 1985 beim Gipfel von Mailand ohne einen formellen Beschluss der Staats- und Regierungs- chefs auseinandergegangen. Europa geht also auch ohne Gipfelbeschlüsse voran. Seit dem Vertrag von Lissabon ist dies sogar einheitlich geregelt. Der Ratspräsident fasst die Gipfelberatungen zusammen und leitet sie den Eu-botschaftern zu. Die beschließen. Per Mehrheit.
Tusk war Szydłos Vorvorgänger im Amt des polnischen Regierungschefs. Er entstammt der liberalen Bürgerplattform PO. Szydło gehört der nationalkonservativen Partei für Recht und Gerechtigkeit (Pis) an. Deren Frontmann Jarosław Kaczyn´ski hält Tusk bis heute für einen „Mordgesellen“, weil er den tödlichen Flugzeugabsturz seines Bruders, des Präsidenten Lech Kaczyn´ski, bei ei- nem Staatsbesuch 2010 in Russland nicht ausreichend habe untersuchen lassen. So dominierte die polnische Innenpolitik diesen Gipfel. Und Europa.
Schon am Freitag beraten die Mitgliedsstaaten ohne die britische Regierungschefin Theresa May über die weitere Zukunft der EU nach dem Brexit. In zwei Wochen soll auf einem Sondergipfel in Rom eine Erklärung verabschiedet werden. Dann feiert die EU den 60. Jahrestag der Römischen Verträge, des Gründungsakts der EU. Aber Europa ist gespalten. Die einen streben nach Differenzierung, sprich wollen mit den Integrationswilligen schneller voran, die anderen fürchten um die Einheit des fragilen Gebildes. Europa ist gespalten.
Vorangegangen war ein ungewöhnlicher Tag in Brüssel. Nach außen mag es um Gezerre und Gefeilsche gehen. Nach innen haben die Eu-staaten mit der Wahl von Tusk demonstriert, sie lassen sich nicht von einem Staat unter Druck setzen. Polen sollte dies wissen. Die noble polnische Adelsrepublik ging einst am Einstimmigkeitsprinzip zugrunde. Noch ist Europa nicht verloren. LIVETICKER AB 19 UHR IN DER KLEINE-ZEITUNG-APP