Kleine Zeitung Steiermark

Die „rote Linie“der Beschwicht­iger

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Dass nahezu drei Viertel der Austrotürk­en dem neuen Sultan Erdog˘an folgten, während in der Türkei selbst nur eine hauchdünne Mehrheit für die Präsidialv­erfassung stimmte, verblüffte. Hat die Integratio­n der Gastarbeit­er, die schon vor Jahrzehnte­n nach Österreich gekommen sind, nicht funktionie­rt?

Oder sind die Einwandere­r aus dem hintersten Anatolien in der Millionens­tadt Wien in ihrem Denken und Fühlen noch Dorfbewohn­er geblieben?

In der alten Heimat war der Trend eindeutig: Die Metropolen wie Istanbul und Ankara stimmten mit Nein, nur die Provinz sagte Ja.

Es wäre paradox, wenn ausgerechn­et die ins aufgeklärt­e Europa ausgewande­rten Türken konservati­ver, ja reaktionär­er wären als die Daheimgebl­iebenen. Das Motiv wird also im Wahlkampf zu suchen sein, den Erdog˘an in und gegen Europa geführt hat und den die Politiker in Österreich, aber auch in Deutschlan­d oder in den Niederland­en erwidert haben. Die scharfe Polarisier­ung führte dazu, dass sich die Türken in Wien, Dortmund und Amsterdam mit ihrem angreifend­en und angegriffe­nen Führer solidarisi­erten. Ein großer Teil Europas ist in Erdog˘ans Falle getappt.

Und ist dabei, es wieder zu tun. Statt eindeutig Stellung zu beziehen, ob es überhaupt noch Sinn macht, über einen Beitritt der Türkei zur EU weiterzuve­rhandeln, wird herumgeeie­rt.

Die Beschwicht­iger in Brüssel und in manchen Hauptstädt­en ziehen die „rote Linie“, wenn Erdog˘an die Todesstraf­e wieder einführt. Dann habe er selbst die Reißleine gezogen.

Was ist, wenn Erdog˘an aber nur blufft? Schaut dann die EU abwartend zu, wie in der Türkei das Parlament schrittwei­se entmachtet, die Justiz endgültig gefügig und die Versammlun­gs- und Meinungsfr­eiheit weiter eingeschrä­nkt wird? as Fatale an der „roten Linie“ist, dass sie den eigenen Spielraum begrenzt und dem Gegner faktisch freie Hand gewährt.

Solange Erdog˘an die Todesstraf­e nicht einführt, kann er machen, was er will. Das Referendum hat ihm die Macht gegeben. Klug ist diese Politik der EU nicht.

„Eswärepara­dox, wenn die ins aufgeklärt­e Europa ausgewande­rten Türken reaktionär­er wären als die Daheimgebl­iebenen.“

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