Kurz will Steuern senken, aber wo?
REPORTAGE. ÖVP-CHEF Kurz plant spektakuläre Einschnitte bei der Steuerlast. Details will er erst im September verkünden.
Es ist eine kleine, handverlesene Runde, die sich in einer Tischlerei in der kleinen Weinviertler Gemeinde Obersdorf eingefunden hat. Um einen länglichen Tisch sind sie alle versammelt – außer dem Tischlermeister auch der örtliche Wirt, der Bäcker und andere Kleingewerbetreibende. Sebastian Kurz, der designierte ÖVP-CHEF, will hören, wo der Schuh drückt. Die Antworten sind erwartbar, alt bekannt. Die Chefin der Fahrschule klagt über das straffe Arbeitszeitkorsett, das Fahrstunden in den frühen Morgenstunden oder am späten Abend erschwert. Der Wirt empört sich: „Ich bin Wirt und komme auf 20 Stunden Büroarbeit jede Woche, das ist ein Jammer.“Ein anderer versteht die Welt nicht, dass ein Dachdeckerlehrling erst im dritten Jahr allein ein Dach besteigen darf. Das Thema, das Kurz am ersten Tag seiner Österreich-gespräche, die ihn durchs ganze Land führen sollen, anschneiden wollte, wird von den Gewerbetreibenden ganz am Rande gestreift: die hohe Steuerbelastung.
In einem Interview mit der international renommierten, auf Wirtschafts- und Finanzfragen spezialisierten Nachrichtenagentur Bloomberg hatte der Außenminister am Wochenende eine deutliche Senkung der Steuern- und Abgabenquote auf unter 40 Prozent bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode eingemahnt, das käme einer Steuersenkung um zwölf bis 14 Milliarden Euro gleich. Österreich zählt – siehe Grafik – zu den Ländern mit den höchsten Arbeitsplatzkosten Europas. Im Durchschnitt kostet ein Arbeitsplatz das Doppelte des Nettolohns.
„Die erste Reaktion, die ich immer höre, wenn ich das anspreche, lautet: Das geht nicht“, so Kurz in Obersdorf. „Meine Gegenfrage lautet dann: Gut, aber wie lang wollen wir das noch so weiterführen?“Wo Kurz die zwölf bis 14 Milliarden Euro einsparen will, diese Antwort blieb der ÖVP-CHEF auch beim Pressegespräch im Weinviertel schuldig. Er werde Anfang September ein entsprechendes Konzept vorlegen, vertröstete er die Medien und die interessierte Öffentlichkeit.
was es verspricht, ob der Övp-spitzenkandidat den Mut aufbringt, auch unpopuläre Vorschläge zu machen, oder ob er sich daran vorbeischummelt und vage bleibt, ist somit unklar. Die angekündigten Einsparungen bei der Mindestsicherung und Familienbeihilfe für Ausländer machen bekanntlich nur einen Bruchteil des zweistelligen Milliardenbetrags aus. Kurz deutete an, dass er bei den Förderungen den Rotstift ansetzen werde, bis zu fünf Milliarden seien dort zu holen. „Statt den Menschen Geld zuzustecken, das man ihnen vorher aus der Tasche genommen hat, sollten sie lieber selbst entscheiden können, wie sie mit dem Erarbeiteten umgehen können.“Nächste Stopps der Österreich-gespräche: Salzburg, Wien, Graz.