Ganz in Weiß gegen eine Scheidung
Mit mehreren Großkundgebungen haben Zehntausende Spanier in den großen Städten des Landes für einen Dialog in der Katalonien-frage demonstriert. Nur mit der Alternative Abspaltung oder Unterdrückung der Unabhängigkeitsbewegung wollen sich viele Menschen nicht abfinden.
Seit Mittwoch geht Cesar Lopez jeden Tag auf die Plaça Sant Jaume in Barcelona. Auf dem zentralen Platz der Hauptstadt Kataloniens mit dem Regierungspalast an der Nord- und dem Rathaus an der Südseite stellt der Journalist im Vorruhestand einen Sessel auf und unterhält sich mit Passanten. „Bitte redet miteinander“, steht in grünen Buchstaben auf seinem weißen T-shirt, auf dem Rücken auf Spanisch, auf der Brust auf Katalanisch. Adressat des Aufrufs zum Dialog sind die spanische Zentralregierung in Madrid und die katalanische Regionalregierung in Barcelona, die sich im Streit um die Zukunft der Region unversöhnlich gegenüberstehen.
Am Samstag war Lopez nicht allein. Seinen Sessel hatte der 62-Jährige vorsorglich daheim gelassen, denn auf dem Platz war kein Quadratmeter mehr frei. Sechs Tage nach dem umstrittenen Unabhängigkeitsreferendum hatten sich mehr als 5000 Menschen versammelt, um unter dem Motto „Parlem, Hablemos!“(„Lasst uns reden“auf Katalanisch und Spanisch) das Gleiche zu fordern wie er: den Dialog. Die Demonstranten trugen weiße Hemden, Hosen oder T-shirts, hielten weiße Luftballons an Bändern und schwenkten weiße Fahnen und Transparente. Viele hatten ihre Hände weiß bemalt.
Bei der vom Verfassungsgericht verbotenen Abstimmung hatten 90 Prozent der Wähler für die Unabhängigkeit der Autonomen Region gestimmt, die Wahlbeteiligung erreichte aber nur magere 43 Prozent. Die meisten Menschen auf der Plaça gaben nun zu verstehen, dass sie die Loslösung von Spanien nicht wollen. So wie Lopez: Er stammt aus Madrid, seine Lebensgefährtin Merce Remoli aus Barcelona. Sie haben in beiden Städten zusammengelebt, jetzt wohnen sie in der Mittelmeermetropole. „Ich will keine Unabhängigkeit, sondern eine Verhandlungslösung, mit der sich Katalonien in Spanien wohlfühlen kann“, sagt die 64-jährige Katalanin Remoli.
Auch in Lopez’ Heimatstadt wurde demonstriert. Vor dem Rathaus von Madrid riefen Tau- sende ebenfalls in Weiß gekleidete Menschen zum Dialog auf. „Sowohl die Regierung in Barcelona als auch die in Madrid ist korrupt, aber sie müssen endlich miteinander reden“, sagte die Katalanin Libertad, die seit vier Jahren in Madrid lebt. Eine Minderheit habe in Katalonien die schweigende Mehrheit, die gegen die Unabhängigkeit sei, als Geisel genommen.
Eine weitere Demonstration gab es auf der nahe gelegenen Plaza Colón, sie war bunter und auch lauter. Statt Weiß dominierten hier Spaniens Nationalfarben, der Platz hatte sich in ein gelbrotes Flaggenmeer verwandelt. Seit dem Referendum sind in Madrid nationalistischere Tendenzen auszumachen, aus vielen Fenstern hängen Fahnen – zuvor undenkbar in Spanien. Als sich zwei Polizeiwagen ihren Weg über die Plaza Colón bahnten, brach Jubel aus. „Es lebe die Polizei!“, skandierten die Menschen. Einheiten der Nationalpolizei und der Guardia Civil waren am Referendumstag hart gegen Wähler vorgegangen. Es gab 900 Verletzte.
In Barcelona gab es lautstarke Kritik an der Regionalregierung von „President“Carles Puigdemont. Mit dem Gesicht zum Regierungspalast riefen sie auf Katalanisch: „Tut eure Arbeit!“, und dann auf Spanisch: „Sie repräsentieren uns nicht!“
Auch die Ärztin Maria Luisa Esponera fühlt sich von den Separatisten in der Generalitat nicht vertreten. „Denn ich bin Katalanin und Spanierin, und ich glaube an die Einheit Spaniens“, sagt sie. Für beide Seiten wäre die Abspaltung ein gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Verlust. Allerdings kennt sie den Separatismus hautnah: „Ich habe drei Söhne, die für die Unabhängigkeit sind“, sagt sie. Am heimischen Balkon hingen drei Fahnen: die spanische, die offizielle katalanische und die der Unabhängigkeitsbewegung.
Der Unabhängigkeit mag der Komponist Manuel Zapata nichts abzugewinnen. „Ich respektiere die Leute, die die Meinung vertreten, aber das Ganze ist unstimmig und hat keine legale Basis“, sagt er. Ihm schwebt eine musikalische Lösung vor: „Die Welt muss wie ein Orchester sein, wir müssen gut stimmen, damit es gut klingt.“