Eine Schöcklpartie per Automobil
Oberingenieur Karl Slevogt fuhr am 15. August 1909 mit einem Puch-auto auf elenden Gehwegen auf den Schöckl. Vier Tage zuvor hatte er schon in der Landscha-allee den Geschwindigkeitsrekord von 130,4 km/h aufgestellt.
Nicht schlecht staunten die verschreckten Bergwanderer und Sportler am 15. August 1909, dem Mariähimmelfahrt-tag, und brachen dann in Jubel aus, als Karl Slevogt und sein Beifahrer Gyula Diescher mit ihrem „Puch 18“mit Getöse vor dem Stubenberghaus am Schöcklplateau vorfuhren.
„Ungeheures Aufsehen unter der gesamten auf der Höhe versammelten Touristen- und Sportwelt. Eine Schöckelpartie* per Automobil, das war jedenfalls ein Novum“, berichtete am Tag darauf das „Grazer Volksblatt“. Immerhin war dies die erste Bergfahrt auf steilen Gehwegen in der Steiermark gewesen. Und es „war eine mörderische Fahrt. Auf Hohlwegen, über Felsgeröll, kaum Platz für die Räder mußte der Wagen (ein 18/22 HP, zweisitzig karossiert) die Höhe erkämpfen. Zum Schutze der Pneus (= Pneumatics = Reifen) wurden die Räder mit Ketten umwickelt. Erst wurde der Versuch mit dünnen Gliederketten gemacht, dann mußten schwere Fuhrketten angelegt werden ... Trotz Steigung, elendem Weg und regendurchböhmen weichter Bahn wurde die Schöckelpartie* per Auto doch in zirka 29 Minuten erledigt.“Denselben Text druckte auch die „Allgemeine Automobilzeitung“mit zahlreichen Fotos am 5. September 1909 ab, weitere Sportzeitungen folgten. Dann glückte auch die Rückfahrt nach St. Radegund perfekt, von dort ging es schnellstens nach Ligist, wo Firmenchef Johann Puch auf Sommerfrische weilte. Denn Karl Slevogt wollte seinem Chef topaktuell vom abenteuerlichen Bergsieg des Puchautos berichten.
Schon vier Tage zuvor hatte Slevogt in der später für zahlreiche schwere Unfälle berüchtigten Landscha-allee (Triester Reichsstraße südlich von Leibnitz) ein anderes Meisterstück geliefert. Er hatte, wiederum mit „Herrn Diescher, Beamter der Puch-werke“, als Beifahrer, bei fliegendem Start und mäßigem Wetter mit seinem Vierzylinder-puch-wagen mit 86 Millimeter Bohrung und 172 Millimeter Hub einen neuen altösterreichischen Geschwindigkeitsrekord von 130,43 km/h aufgestellt. Danach beschrieb er, wie er sich bei der Rekordfahrt gefühlt hatte: „Ich bin ganz ruhig. Ich überblicke alles, sehe alles, auch die Leute zur Seite. Nur zu erkennen ist natürlich bei diesem Tempo niemand. Alles konzentriert sich in mir auf den Motor ...“
Doch Karl (immer wieder auch Carl geschrieben, er selbst schrieb sich aber stets mit K) Slevogt (1876–1951) aus dem deutschen Sparneck war nicht nur ein begnadeter Berg- und Schnellfahrer, sondern auch einer der ganz großen deutschen Automobilkonstrukteure seiner Zeit. Am 1. November 1907 hatte er bei einem Rennen auf dem Semmering einen Unfall mit Totalschaden, den er aber mit Glück unverletzt überlebte, doch seine Karriere bei Laurin und Klement (später Sˇkoda) in war damit zu Ende. Slevogt ging nun zur aufstrebenden Firma Puch nach Graz, übernahm die Leitung und führte sofort zahlreiche Neuerungen ein – was recht einfach ging, da ein Großteil der Firma kurz zuvor abgebrannt war und Slevogt sozusagen bei null beginnen konnte.
Das immer wieder als äußerst bescheiden beschriebene Technik-genie konstruierte an seiner neuen Wirkstätte neben einem Vierzylinder-ohc-rennmotor auch eine Gebrauchsmotoren-reihe mit 14, 22 und 32 PS sowie die dazu passenden Automobile. Er war es auch, der den Puch-antriebsmotor für das Luftschiff „Estaric“der Rennerbrüder Alexander und Anatol konstruierte, mit dem sie am 26. September 1909 ihre kurze und spektakuläre Luftkarriere starteten.
Da aber bei Puch bald schon die Sport- und Rennwagenabteilung eingestellt wurde, zog der Sportautofan Slevogt wieder ein Haus weiter und wurde ab 1910 technischer Direktor im Apollo-werk in Apolda, Thüringen.
* Schöckel – alte Schreibweise