Wer sagt schon „Schleich dich!“zum Chef?
Von Hollywood über das Silicon Valley bis ins Herz der EU: Sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz sorgen einmal mehr für heftige Debatten. Offen bleibt: Wer soll potenzielle Opfer beschützen?
Eine Ankündigung reichte aus, um die gigantische Protestwelle loszutreten. Am 23. Jänner 2013 ließ die deutsche Illustrierte „Stern“wissen, man werde am nächsten Tag eine Geschichte über den Spitzenkandidaten der FDP für die Bundestagswahl publizieren. Der brisante Inhalt: Rainer Brüderle soll die Journalistin Laura Himmelreich sexuell belästigt haben. Die Folge waren 57.000 Twitter-nachrichten unter dem Stichwort #Aufschrei in gerade einmal sieben Tagen und eine Sexismus-debatte, die es in die meistbeachteten New Yorker Talkshows schaffte.
Nun findet die Debatte um sexuelle Belästigung als #metoo ihre unrühmliche Fortsetzung. Auch Us-filmproduzent Harvey Weinstein – wir berichteten – schien die Legitimität seines Handelns in einem beruflichen Machtverhältnis zu sehen. Er fiel dabei in ein bekanntes Muster. Überlegenheitsgefühle, die vorwiegend Männer gegenüber Frauen geltend machen wollen, wurden auch anderen prominenten Arbeitgebern zum Verhängnis. Darunter Travis Kalanick, Ex-boss des Us-fahrzeugvermittlers Uber, und Dominique Strauss-kahn, einst mächtiger Chef des Internationalen Währungsfonds. Seit dieser Woche erschüttern Berichte von sexuellen Übergriffen auch das Euparlament. Mittlerweile meldeten sich bereits 87 Frauen und Männer, die von männlichen Abgeordneten belästigt worden sein sollen. Unter anderem seien Arbeitsverträge als Gegenleistung für Sex angeboten worden.
Betroffene findet man aber freilich nicht nur in Hollywood, Brüssel oder im Silicon Valley. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO geht davon aus, dass in der EU zwischen 40 und 50 Prozent der Frauen im Beruf
schon einmal sexuell belästigt wurden. Zu einem noch dramatischeren Wert kam schon Ende der 1990er-jahre die „Dortmunder Studie“, wonach 72 Prozent der Frauen von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz berichteten. Unstrittig ist also: Das Thema taugt nicht als Minderheitenprogramm.
Und dennoch sind juristische Urteile verhältnismäßig selten. Die Angst vor der Täter-opferumkehr lässt viele Betroffene schweigen, zudem erweiterte sich das Potpourri an rechtlichen Möglichkeiten für Betroffene nur langsam (siehe rechts). Psychotherapeutin Rotraud Perner bringt einen Aspekt in die Debatte ein, der bisher wenig Beachtung findet – die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Sie ist im Gesetz verankert. „Jeder Auftraggeber hat dafür zu sorgen, dass kein gesundheitlicher Stress entsteht“, erinnert Perner. Sexuelle Belästigung „ist für die Betroffenen ein großer Stress, da viele kaum eine Chance haben, sich zu wehren“.
Oft genüge ein „Lass mich in Ruh“des Opfers nicht, erzählt die Therapeutin aus ihrer Praxis. „Selbst wenn Frauen auf die Männer, die sie belästigen, reagieren, heißt das nicht, dass sie