Die ewige Langsamkeit am Nabel der Welt
Kleines Land, große Bühne: Österreich wird regelmäßig zum Zentrum der Diplomatie
Es steckt auch eine Berufung in jenem gerne zitierten Satz, in dem der Dichter Friedrich Hebbel Österreich zur „kleinen Welt“erhebt, „in der die große ihre Probe hält“: Eine Art von Austrozentrismus, ausgerechnet aus der Feder eines Deutschen, der sich aus heutiger Perspektive auf zweierlei Arten lesen lässt: eine schmeichelhafte Überhöhung auf der einen, eine bitter-ironische Note auf der anderen Seite. Österreich als Versuchslabor und Schicksalsort, an dem sich die Zukunft der Welt entscheidet. Erleichterung verschaffte bei so viel Fatalismus die humoristische Abwandlung: „Österreich ist eine kleine Welt, die die große zum Narren hält.“ebbels Zitat führt, 150 Jahre überspringend, geradewegs in die österreichische Tagespolitik: Noch zur Jahrtausendwende ereiferte sich Europa sanktionsreich und kollektiv über die
HAschwarz-blaue Regierung im Land, heute sind derlei Reaktionen undenkbar. Der in Österreich erprobte Rechtsruck, er scheint längst parlamentarisches Allgemeingut am Kontinent geworden zu sein.
Überhaupt eignet sich die Europäische Union durchaus für einen Hebbel’schen Brückenschlag: Die Habsburgermonarchie, in der sich zahlreiche Sprachen und Religionen unter einer Krone versammelten, wird gerne als Vorprojekt der europäischen Einigung herangezogen. Mag der Vergleich auch historisch hinken und nostalgisch verklärt sein, verweist er zumindest bereits auf die angestammte Vermittlerrolle Österreichs zwischen Ost und West. Das Diplomaten-mäntelchen wurde zum außenpolitischen Trumpf und Wien inklusive Un-standort zu einem Stammtisch internationaler Friedenskonferenzen. Zuletzt etwa bei den Atomgesprächen und den Syrien-friedensverhandlungen.
Scheinbar im Kontrast zur Hebbel’schen Inszenierung steht jene von Gustav Mahler. Während Hebbel ein aktives Bild Österreichs zeichnet, ist es bei dem ruhefanatischen Kompositionsgenie ein passives: In dem ihm zugeschriebenen Zitat preist er ein Wien der Langsamkeit, in dem selbst die Apokalypse mit Verspätung eintrifft. Die gelebte Gemütlichkeit ist Wien bis heute geblieben – und sei es nur in Reiseführern. Wie falsch Mahler mit seiner Einschätzung lag, hat er nicht mehr erlebt: Drei Jahre nach seinem Tod begann, ausgerechnet von Wien ausgehend, der Erste Weltkrieg. Österreich wurde nicht nur zur Probebühne, mehr noch: Das Land stellte die Welt auf eine fundamentale Probe. Hatten Hebbel und
Mahler recht?