Wer fürchtet sich vor der direkten Demokratie?
ernannt wurde. Drittens wird auf das „Vorbild“der Schweiz als „Ausnahme“hingewiesen. Dort hätten sich die Schweizer nach mehr als hundert Jahren so an die direkte Demokratie gewöhnt, dass sie „vernünftig“abstimmen, z. B. gegen die Ausweitung auf eine fünfte Urlaubswoche. In Österreich sei dies mangels einer solchen politischen Kultur nicht möglich. Ja, aber wieso wurde dann die direkte Demokratie vor mehr als hundert Jahren auch ohne Erfahrungen mit dem Instrument des Referendums auf gesamtstaatlicher Ebene eingeführt? Die Schweizer, die haben sich offensichtlich schon im 19. Jahrhundert etwas getraut, oder? n keiner Debatte in Österreich wurde bisher auf die grundlegenden Unterschiede zwischen den Instrumenten der direkten Demokratie in Österreich und der Schweiz hingewiesen. In Österreich sind die Instrumente Volksbefragung und Volksabstimmung auf Bundesebene darauf beschränkt, dass nur die Mehrheit des Nationalrats oder die Bundesregierung davon Gebrauch machen kann, wie dies ja auch beispielsweise bei der Volksabstimmung 1978 über die Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Zwentendorf der Fall war. Damals musste Bundeskanzler Kreisky damit rechnen, dass das Thema friedliche Nutzung der Kernenergie quer durch alle Parteien die österreichischen Wähler spaltet und er bei den für 1979 bevorstehenden Parlamentswahlen die absolute Mehrheit verlieren
ITrotzdem er persönlich mit dem Rücktritt gedroht hatte, ging die Abstimmung äußerst knapp mit 50,5 Prozent gegen die Inbetriebnahme von Zwentendorf aus. Kreisky trat nicht zurück und die SPÖ erhielt bei den Wahlen ein Jahr später die höchste Anzahl der Stimmen im gesamten zwanzigsten Jahrhundert. Was ist daraus zu schließen?
Direkte Demokratie, wie sie in Österreich in der Bundesverfassung verankert ist, hat nichts mit direkter Mitbestimmung der Wähler über ein Sachthema zu tun, sondern hat eine Ventilon es soll „Dampf “abgelassen werden. Wenn die Regierenden sich nicht einig sind oder die Gefahr von Verlusten bei Wahlen droht, schieben sie die „Verantwortung“für das heiße Eisen an die Wähler zurück. Diese Variante der „direkten“Demokratie ist vielmehr „plebiszitär“, wenn sich die Regierenden – wie dies Kaiser Napoleon III. im 19. Jahrhundert in Frankreich zum System gemacht hatte – ihre einsamen Entscheidungen im stillen Kämmerlein einfach nur absegnen lassen, sodass diese Form der „Mitwirkung“an Entscheikönnte.