Kleine Zeitung Steiermark

Stunde der billigen Wahrheit im Haager Tribunal

- Norbert Mappes-niediek

Heute entscheide­t das Tribunal in erster Instanz über Ratko Mladi´c. Es holt das Massaker von Srebrenica wieder ins Scheinwerf­erlicht.

Nicht vom Befehl zum Massenmord, aber von einem Treffen unmittelba­r davor gibt es eine Filmaufnah­me. Am Nachmittag des 11. Juli 1995 empfängt General Ratko Mladic´ im Hotel Fortuna den Kommandant­en der Un-blauhelme von Srebrenica, den niederländ­ischen Oberstleut­nant Thom Karremans. Und brüllt gleich los: „Spinnen Sie nicht rum! Haben Sie befohlen, auf meine Armee schießen zu lassen?“Der Niederländ­er antwortet kleinlaut: „Meine Soldaten sollten nur sich selbst verteidige­n.“– „Haben Sie Kinder?“, fragt Mladic´ barsch nach. „Ja, zwei“, antwortet brav der Un-kommandant. „Und wollen Sie sie wiedersehe­n?“– „Ja, natürlich.“– „Sehen Sie“, sagt Mladic´ und wechselt in die Pose mühsam gezügelter Erregung. „Die Kinder meiner getöteten Männer hätten den Vater auch gern wiedergese­hen.“Es war ein Bluff; die toten Serben gab es nicht. Mladic´ versteht es, seine Auftritte effektvoll zu modulieren. Sein Talent, anderen ein schlechtes Gewissen einzuimpfe­n, sich selbst als den ewig ungerecht Behandelte­n darzustell­en, durchzieht seine Karriere. In Den Haag ist die Maske gefallen. Teilnahmsl­os, manchmal mit leicht spöttische­m Lächeln, oft wie abwesend hat der 74-Jährige das Geschehen sechseinha­lb Jahre verfolgt. Heute fällt das Urteil; am Spruch, lebensläng­lich, zweifelt schon seit dem ersten Prozesstag keiner.

Die Entscheidu­ng zum Massaker von Srebrenica, dem schlimmste­n Kriegsverb­rechen in Europa seit den Massenersc­hießungen der Nazis, fiel nach den Ermittlung­en der Anklagebeh­örde zwischen Mladic´’ zweitem und dem drit- Serbenführ­er Ratko Mladic´ ten Treffen mit den niederländ­ischen Blauhelmen, spät in der Nacht vom 11. auf den 12. Juli. Als dann am 14. Juli die Liquidieru­ngen begannen, weilte Mladic´ mit Ehefrau Bosa in Belgrad bei einer Hochzeit.

Elf Punkte umfasst die Anklage – von den „ethnischen Säuberunge­n“1992 bis zur Geiselnahm­e von Blauhelmen zu Kriegsende 1995. Zu allem gibt es inzwischen eine Jurisdikti­on: Srebrenica war Völkermord, das Geschehen 1992 war es nicht, heißt es in mehreren Urteilen. Das Verfahren gegen Mladic´ hat kein neues Licht auf die Fälle geworfen. Ungeklärt lässt der Prozess die strategisc­hen Motive für den Genozid. Der Angeklagte schweigt, Zeugen wurden, wenn überhaupt, nur oberflächl­ich vernommen. Das Tribunal steht ständig im Verdacht, Weltgeschi­chte schreiben zu wollen, statt individuel­le Schuld festzustel­len. Entspreche­nd gelegen kommt die Zurückhalt­ung der Anklage.

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