EINWÜRFE Gürültülü
Türkei. Nicht auf den Spuren des heiligen Nikolaus, nicht, um zu sehen, wie das Land die fünf Millionen Kriegsflüchtlinge integriert, und auch nicht, um zu erkunden, was sich die Türken von einer türkisen österreichischen Regierung erwarten, was ja missverständlich sein könnte, sondern, viel banaler, eine Lesereise zu den Deutschinstituten diverser Universitäten. Davor musste ich Schweinsbraten mit Semmelknödeln essen, quasi als geschmackliches Rüstzeug. Dabei ist die türkische Küche großartig, merkt man den Einfluss unterschiedlichster Völker und Kulturen, die sich hier nicht immer ganz friktionsfrei getroffen haben. Istanbul ist eine pulsierende Millionenstadt, eine Herausforderung mit zweieinhalb Mal so vielen Einwohnern wie Österreich, dagegen wirkt die Beamtenstadt Ankara mit seinen sechs Millionen beinahe wie St. Pölten.
Türken sind extrem patriotisch, um nicht zu sagen nationalistisch, so gibt es etwa ein Atatürk-mausoleum, bei dem alle Ns-architekten erblasst wären. Sie sind keine Zeitungsleser, was populistischen Politikern nicht unrecht ist, dafür sportverrückt. Im Hotelfernseher finden sich zwanzig Sportkanäle: Fußball, amerikanisches Basketball, Billard, Darts, Kampfsport. as Land ist viel fortschrittlicher, als ich es mir vorgestellt hatte. Überall moderne Hochhäuser, Autobahnen und die Turkish Airline gilt als eine der besten Europas. Trotzdem sind sie im Sport erfolglos. Es gibt keine bekannten türki-
Dschen Tennisspieler, die Erfolge im Fußball sind verglichen mit anderen Ländern gleicher Einwohnerzahl zäh wie türkischer Honig, trotz genialer Deutschtürken (Özil, Gündogan, Emre Can etc.) auch in anderen Sportarten fallen mir, abgesehen von ein paar Leichtathleten, kaum bekannte Türken ein. Woran das liegt? An fehlenden Strukturen. Während es in Mitteleuropa oder Südamerika an jeder Ecke eine Gstätten mit zwei Toren gibt, findet man hier eher eine Moschee. ie Gesellschaft ist im Umbruch, noch unentschieden, ob es Richtung europäischer Demokratie oder autokratischen Religionsstaats geht. Eine Psychologin meint, die Abhängigkeit der Leute nehme drastisch zu – vor allem die von anderen Menschen, manchmal auch von Fußballklubs. Aufgrund der politischen Lage gibt es zurzeit kaum Touristen, das Land ist billig, relativ ruhig, sicher und wegen seiner Geschichte, Küche und Gastfreundschaft unbedingt eine Reise wert. Nur mit der Sprache habe ich Probleme, jeder zweite Buchstabe ein ü. ach dieser kleinen Reise ins Ü-land ist meine Welt ein Stückchen größer, sehe ich die Türken, vor denen sich die Anhänger von Türkis-blau so fürchten, anders. Das hat zwar jetzt ausnahmsweise wenig mit Sport zu tun, aber mit Weihnachten, Advent, und dem Wunsch nach Frieden für die Welt. Güle güle.
DNFranzobel, 1967 in Vöcklabruck geboren, ist Schriftsteller und Sportfan.
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