Geben ist seliger denn Nehmen
Eine Erinnerung an Weihnachten 1945 und an einen besonders gütigen Menschen.
dicken Hornbrille blickten mich erwartend an. Da kam das Erkennen über mich. Wie konnte ich unseren Kaplan Pfandl, den Begleiter meiner Kinderjahre, vergessen! Das heißt, die Bezeichnung „Kaplan“stimmte nicht mehr. Es war ihm doch noch gegönnt, an der Schwelle des Alters eine kleine Pfarre unweit meines Wohnortes zu bekommen. s mussten mehr als 40 Jahre her sein, dass ich ihn zuletzt gesehen hatte, seine dunklen Haare waren nun weiß geworden. Wir hatten, wie sich nun herausstellte, beide das gleiche Fahrziel, das Schülertreffen. Auch er war als ehemaliger Religionslehrer dazu eingeladen worden. Kurz vor Kriegsbeginn kam er als junger Kaplan in unser Dorf und wurde bald darauf zum Militär einberufen. Ich sehe ihn noch – ich besuchte damals die 1. Klasse Volksschule und er war mein Religionslehrer –, heute vor mir, wie er sich, einen „Plüschhut“auf dem Kopf, von meinen Eltern verabschiedete. Ich weiß nicht, warum mir diese Szene in Erinnerung blieb. War es der Hut, der mir an dem Priester so ungewöhnlich schien, oder spürte ich im Unterbewusstsein die nahende Tragik des Krieges? Bald darauf musste ja auch mein Vater, an dem ich besonders hing, zum Militär und an die Front nach Russ-
Eland. Der Krieg ging vorbei, und auch Kaplan Pfandl kehrte in unser Dorf zurück. Er war ein Priester, der sich für dieses Amt wirklich berufen fühlte und sich dafür aufopferte. Ich gehörte nun schon zu den „Großen“, und seine Güte, die wir damals nicht schätzen konnten, wurde oft mit Spott von uns belohnt. Dies ist mir erst viel später klar geworden. Er widmete seine Freizeit der Jugend; mit Theaterund Singgruppen, Basteln und Spielen holte er die Jugend von der Straße in sein Pfarrheim. Aber auch die alten, hilflosen Menschen wurden von ihm betreut, und er versuchte Freude in ihren Alltag zu bringen. Um dies zu ermöglichen, verlangte er auch die Mitarbeit von unseren Kindern. s war im Dezember 1945, Weihnachten stand vor der Tür. Wir hatten nun Frieden, aber noch immer gab es wenig zu essen. Wer nicht die Möglichkeit hatte, sich im Schwarzhandel zusätzlich Lebensmittel zu verschaffen, hungerte. Dazu gehörten vor allem die alten Menschen, die mit einer kleinen Rente leben mussten. Ihnen wollte Kaplan Pfandl eine Weihnachtsfreude bereiten. Er sammelte eine Schar Kinder um sich, darunter auch mich und meine Freundin Cilli, und bat um unsere Mithilfe. Wir sollten zu unseren Bergbauern gehen und in seinem Namen Lebensmittel für eine Weihnachtsbescherung erbitten. Es war schon Schnee gefallen, genug, um den
ESchlitten nehmen zu können. Nach der Schule zogen wir, den Schlitten bepackt mit einem „Bucklkorb“, los. Bei Anbruch der Dunkelheit wollten wir zurück sein. Es gab damals noch keine Straßen zu unseren Bergbauern, es gab ja auch keine Autos – bis auf das einzige Auto in unserem Dorfe, ein VW, dieser gehörte dem Besitzer der Lodenfabrik, Herrn Grazer. Sogar unser Medizinalrat, damals schon ein alter Herr, machte seine Krankenbesuche mit der Pferdekutsche. Der Doktor wurde ja ohnedies erst gerufen, wenn es um das Leben ging. Eine Krankenversicherung gab es für unsere Bauern damals noch nicht, das Geld für den Arzt war eine Ausgabe, die schmerzte. Die Verbindungen zu den Bauern waren Fuhrwege, die eben nur mit dem Pferdefuhrwerk oder Ochsengespann benutzt wurden. Es war ein mühseliger Aufstieg, einige