In der EU noch nicht ganz angekommen
Elf Jahre nach dem Beitritt zur EU wird Bulgarien ab 1. Jänner erstmals die Geschäfte der Union führen. Die Nervosität vor der Übernahme des Ratsvorsitzes ist in Sofia groß.
Ein meist nur beiläufig wahrgenommener Mitläufer in Europas kriselndem Wohlstandsbündnis rückt plötzlich ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Elf Jahre nach dem Beitritt zur EU wird deren ärmstes Mitglied Bulgarien am 1. Jänner erstmals die Eu-präsidentschaft übernehmen. Zwischen aufgeregter Nervosität und hoffnungsfrohen Erwartungen schwankt vor der Premiere die Gefühlslage in Europas Armenhaus: Nicht nur die Regierung in Sofia, sondern auch viele Bewohner des Balkanstaats erhoffen sich von der Präsidentschaft eine Aufpolierung des eher zweifelhaften Images als besonders korruptes und relativ rückständiges Land.
Wegen der britischen Entscheidung für den Brexit ereilen die Präsidentschaftswürden den Sieben-millionen-einwohnerstaat im Südosten Europas ein halbes Jahr früher als ursprünglich geplant. Aber dennoch glaubt sich die rechtsnationale Regierung des bulligen Dauerpremiers Bojko Borissow für die Aufgabe gut gerüstet.
Nichts wollen die neuen Euratsherren dem Zufall überlassen. 3000 Überwachungskameras leuchten fast jeden Winkel der stets ein wenig verschlafen wirkenden Hauptstadt Sofia aus. Die Schlaglöcher an den Ausfallstraßen zum Flughafen sind ausgebessert. Die Pferdeund Eselskarren sollen aus dem verschwinden. Selbst der lange baufällige Bunker des Nationalen Kulturpalastes wurde für umgerechnet 22,5 Millionen Euro rechtzeitig zur Eupräsidentschaft modernisiert. Aber kein bulgarisches Großprojekt ohne Korruptionsschatten: Gegen den früheren Kulturpalastdirektor hat die Staatsanwaltschaft wegen Verdachts des Missbrauchs von Mitteln Ermittlungen eingeleitet.
Ein Unsicherheitsfaktor bleibt für Premier Borissow sein nationalistischer Koalitionspartner der „Vereinten Patrioten“, die gegen die ungeliebte Roma-minderheit und verhasste Migranten vom Leder ziehen. So wurde der Vizepremier Waleri Simeonow im Oktober von einem Gericht in Burgas in erster Instanz des Verstoßes gegen das Antidiskriminierungsgesetz für schuldig gesprochen: In einer Parlamentsrede 2014 hatte Simeonow Roma-frauen einen „Instinkt von Straßenhündinnen“bescheinigt – und die Minderheit als „wild gewordene menschenähnliche Wesen“geschmäht. hnliche Entgleisungen dürften sich Bulgariens Würdenträger während der Eu-präsidentschaft kaum erlauben. Ohnehin gehen den künftigen Ratsvorsitzenden die in Brüssel populären Floskeln bereits ohne Probleme über die Lippen. Mit „Konsens, Konkurrenz und Kohäsion“wolle man „Sicherheit, Stabilität und Solidarität“der EU beitragen, so Sofias begrenzt verständliche Schlagwortbotschaft zum Eu-ratsvorsitz. Auch die selbst gewählte Rolle als Anwalt der Erweiterung auf dem Westbalkan sieht Bulgarien im Zeichen seines Präsidentschaftsmottos: „Einigkeit macht stark.“m die Einigkeit ist es in der nicht nur in der Flüchtlingspolitik gespaltenen EU zwar nicht gut bestellt. Doch an ihrer Südostflanke erfreut sich die Union laut Eurobarometer einer ungebrochen hohen Popularität. 57 Prozent der Bulgaren geben an, der EU zu vertrauen – nach Litauen ist das der höchste Wert unter den noch 28 Mitgliedstaaten.
Seit Jahren müht sich Sofia um die Aufnahme in die Schengenzone – und hätte von den Wirtschaftsdaten im Prinzip auch die Bedingungen für den anvisierten Beitritt in die Eurozone erfüllt. Doch trotz resoluter Sperre seiner Grenzen für die hart behandelten Flüchtlinge und des Grenzzauns zur Türkei stehen vor allem die Niederlande, aber auch Deutschland einem bulgarischen Schengenbeitritt reserviert gegenüber: Bulgariens korrupte Grenzer nähren bei den westlichen Eu-partnern die Furcht vor einer Aufweichung der Schengenfestung.
Nicht nur wegen des verweigerten Schengenbeitritts fühlt sich das arme Bulgarien von seistadtbild
Unen reicheren Partnern gelegentlich diskriminiert. Doch egal ob in Sofia die Sozialisten oder konservative Kräfte am Ruder sind: Im Gegensatz zu den wirtschaftlich weit bessergestellten Eu-sorgekindern Polen und Ungarn segelt das sich an Berlin orientierende Sofia gegenüber Brüssel seit dem Beitritt auf einem auf Harmonie bedachten Kurs. Auch wenn populistische Kräfte und gelegentlich die Sozialisten für einen russlandfreundlicheren Kurs plädieren, wird die EU- und Nato-mitgliedschaft von fast keiner politischen Kraft ernsthaft infrage gestellt: Es ist das Wissen, dass das Land ohne Euhilfen viel schlechter dastehen würde, das Bulgarien willig den Part des verlässlichen Partners auf dem Balkan mimen lässt.
Trotzdem wirkt die elfjährige Eu-bilanz des Landes durchwachsen. Als Habenichts trat Bulgarien 2007 der EU bei. Obzur