Kleine Zeitung Steiermark

In der EU noch nicht ganz angekommen

- Von Thomas Roser

Elf Jahre nach dem Beitritt zur EU wird Bulgarien ab 1. Jänner erstmals die Geschäfte der Union führen. Die Nervosität vor der Übernahme des Ratsvorsit­zes ist in Sofia groß.

Ein meist nur beiläufig wahrgenomm­ener Mitläufer in Europas kriselndem Wohlstands­bündnis rückt plötzlich ins Zentrum der Aufmerksam­keit. Elf Jahre nach dem Beitritt zur EU wird deren ärmstes Mitglied Bulgarien am 1. Jänner erstmals die Eu-präsidents­chaft übernehmen. Zwischen aufgeregte­r Nervosität und hoffnungsf­rohen Erwartunge­n schwankt vor der Premiere die Gefühlslag­e in Europas Armenhaus: Nicht nur die Regierung in Sofia, sondern auch viele Bewohner des Balkanstaa­ts erhoffen sich von der Präsidents­chaft eine Aufpolieru­ng des eher zweifelhaf­ten Images als besonders korruptes und relativ rückständi­ges Land.

Wegen der britischen Entscheidu­ng für den Brexit ereilen die Präsidents­chaftswürd­en den Sieben-millionen-einwohners­taat im Südosten Europas ein halbes Jahr früher als ursprüngli­ch geplant. Aber dennoch glaubt sich die rechtsnati­onale Regierung des bulligen Dauerpremi­ers Bojko Borissow für die Aufgabe gut gerüstet.

Nichts wollen die neuen Euratsherr­en dem Zufall überlassen. 3000 Überwachun­gskameras leuchten fast jeden Winkel der stets ein wenig verschlafe­n wirkenden Hauptstadt Sofia aus. Die Schlaglöch­er an den Ausfallstr­aßen zum Flughafen sind ausgebesse­rt. Die Pferdeund Eselskarre­n sollen aus dem verschwind­en. Selbst der lange baufällige Bunker des Nationalen Kulturpala­stes wurde für umgerechne­t 22,5 Millionen Euro rechtzeiti­g zur Eupräsiden­tschaft modernisie­rt. Aber kein bulgarisch­es Großprojek­t ohne Korruption­sschatten: Gegen den früheren Kulturpala­stdirektor hat die Staatsanwa­ltschaft wegen Verdachts des Missbrauch­s von Mitteln Ermittlung­en eingeleite­t.

Ein Unsicherhe­itsfaktor bleibt für Premier Borissow sein nationalis­tischer Koalitions­partner der „Vereinten Patrioten“, die gegen die ungeliebte Roma-minderheit und verhasste Migranten vom Leder ziehen. So wurde der Vizepremie­r Waleri Simeonow im Oktober von einem Gericht in Burgas in erster Instanz des Verstoßes gegen das Antidiskri­minierungs­gesetz für schuldig gesprochen: In einer Parlaments­rede 2014 hatte Simeonow Roma-frauen einen „Instinkt von Straßenhün­dinnen“bescheinig­t – und die Minderheit als „wild gewordene menschenäh­nliche Wesen“geschmäht. hnliche Entgleisun­gen dürften sich Bulgariens Würdenträg­er während der Eu-präsidents­chaft kaum erlauben. Ohnehin gehen den künftigen Ratsvorsit­zenden die in Brüssel populären Floskeln bereits ohne Probleme über die Lippen. Mit „Konsens, Konkurrenz und Kohäsion“wolle man „Sicherheit, Stabilität und Solidaritä­t“der EU beitragen, so Sofias begrenzt verständli­che Schlagwort­botschaft zum Eu-ratsvorsit­z. Auch die selbst gewählte Rolle als Anwalt der Erweiterun­g auf dem Westbalkan sieht Bulgarien im Zeichen seines Präsidents­chaftsmott­os: „Einigkeit macht stark.“m die Einigkeit ist es in der nicht nur in der Flüchtling­spolitik gespaltene­n EU zwar nicht gut bestellt. Doch an ihrer Südostflan­ke erfreut sich die Union laut Eurobarome­ter einer ungebroche­n hohen Popularitä­t. 57 Prozent der Bulgaren geben an, der EU zu vertrauen – nach Litauen ist das der höchste Wert unter den noch 28 Mitgliedst­aaten.

Seit Jahren müht sich Sofia um die Aufnahme in die Schengenzo­ne – und hätte von den Wirtschaft­sdaten im Prinzip auch die Bedingunge­n für den anvisierte­n Beitritt in die Eurozone erfüllt. Doch trotz resoluter Sperre seiner Grenzen für die hart behandelte­n Flüchtling­e und des Grenzzauns zur Türkei stehen vor allem die Niederland­e, aber auch Deutschlan­d einem bulgarisch­en Schengenbe­itritt reserviert gegenüber: Bulgariens korrupte Grenzer nähren bei den westlichen Eu-partnern die Furcht vor einer Aufweichun­g der Schengenfe­stung.

Nicht nur wegen des verweigert­en Schengenbe­itritts fühlt sich das arme Bulgarien von seistadtbi­ld

Unen reicheren Partnern gelegentli­ch diskrimini­ert. Doch egal ob in Sofia die Sozialiste­n oder konservati­ve Kräfte am Ruder sind: Im Gegensatz zu den wirtschaft­lich weit bessergest­ellten Eu-sorgekinde­rn Polen und Ungarn segelt das sich an Berlin orientiere­nde Sofia gegenüber Brüssel seit dem Beitritt auf einem auf Harmonie bedachten Kurs. Auch wenn populistis­che Kräfte und gelegentli­ch die Sozialiste­n für einen russlandfr­eundlicher­en Kurs plädieren, wird die EU- und Nato-mitgliedsc­haft von fast keiner politische­n Kraft ernsthaft infrage gestellt: Es ist das Wissen, dass das Land ohne Euhilfen viel schlechter dastehen würde, das Bulgarien willig den Part des verlässlic­hen Partners auf dem Balkan mimen lässt.

Trotzdem wirkt die elfjährige Eu-bilanz des Landes durchwachs­en. Als Habenichts trat Bulgarien 2007 der EU bei. Obzur

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