Kleine Zeitung Steiermark

Ein Land zwischen EU, Krise und Putin

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Brüssel oder Moskau? In einer Zeit der Krisen ringt Serbien um seine Ausrichtun­g.

Serbien ist das Herzland des ehemaligen Jugoslawie­n und Serben und Albaner zählen zu den größten Völkern am Balkan. Somit ist die Normalisie­rung zwischen Serbien und dem Kosovo eine der größten Herausford­erungen auf dem Weg zu einem stabilen Balkan.

Direkte Gespräche zwischen Belgrad und Prishtina begannen in Brüssel erst, als das Gespann Aleksandar Vucˇic´ und Ivica Dacˇic´ in Serbien die Macht übernahm. Dieser wichtige Schritt der einstigen Gefolgsleu­te von Slobodan Miloˇsevic´ ändert nichts daran, dass Belgrad die Unabhängig­keit des Kosovo noch zehn Jahre später nicht anerkennt. Dabei ist es in guter Gesellscha­ft von fünf Eu-staaten, die aus politische­n Gründen (Spanien und Zypern) den Kosovo ebenfalls nicht anerkennen, was Serbien die „Normalisie­rung“nicht leichter macht. Weit schwerer wiegt, dass Spanien sich wegen seines „heimischen“Kosovo (Katalonien, Baskenland) gegen die neue Westbalkan-strategie stellt, die die Eu-kommission demnächst präsentier­en will. Soweit bekannt, lehnt Spanien die Eu-mitgliedsc­haft des Kosovo ab. Rechnet man noch den Namensstre­it zwischen Griechenla­nd und Mazedonien hinzu, den Athen seit zehn Jahren nutzt, um die Nato-mitgliedsc­haft und die Eu-annäherung Skopjes zu blockieren, so ist klar, dass die EU nicht nur Teil der Lösung, sondern auch Teil des Problems am Balkan ist.

Die mangelnde Eu-perspektiv­e, die Krisen der EU sowie das Desinteres­se ihrer zentralen Mitglieder am Balkan laden andere Mächte geradezu zur Rückkehr oder zum Fußfassen in Ex-jugoslawie­n ein. Dazu zählen arabische Staaten, die Türkei, China und Russland, das unter Wladimir Putin vor allem in Serbien wegen des Nato-krieges sehr populär ist.

Putin dürfte in Serbien nur ein politische­s Wechselgel­d für andere Weltgegend­en sehen. In Serbien, das noch dazu völlig von russischen Energieträ­gern abhängig ist, fehlt diese Erkenntnis vielfach. Und so muss Vucˇic´ in seiner Politik mit dem Faktor Russland rechnen, zumal Außenminis­ter Dacˇic´ und Ex-präsident Tomislav Nikolic´ als klar prorussisc­h gelten. Anderseits ist die EU größter Geldgeber für Serbiens Modernisie­rung, zwei Drittel der Exporte gehen in die Union. Vucˇic´ ist daher zum Lavieren gezwungen. Auch mangels einer klaren zeitlichen Beitrittsp­erspektive dürfte nicht nur für ihn die mit der Eu-annäherung verbundene Modernisie­rung Serbiens allerdings wichtiger sein als der Beitritt selbst.

Das dafür genannte Datum 2025 ist politisch „Lichtjahre“entfernt. Offenbleib­en muss daher die Frage, welcher Prozess schneller abläuft – die Europäisie­rung des Balkans oder die Balkanisie­rung der EU.

Sicher ist, dass wohl noch viele Jahre vergehen werden, ehe Zusammenar­beit und Aussöhnung im ehemaligen Jugoslawie­n jenes Niveau erreichen werden, das in zwei speziellen Bereichen seit vielen Jahren gegeben ist: bei der Organisier­ten Kriminalit­ät am Balkan und zwischen den Bewohnern der Zellen des Haager Tribunals für das ehemalige Jugoslawie­n. Christian Wehrschütz, Belgrad

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