Ersatzidole und andere Todesfälle
Markus Hering, Sebastian Wendelin und Barbara Petritsch in Ferdinand Schmalz’ „jedermann (stirbt)“ Version des hofmannsthalschen Weihedramas wohl braucht. Schmalz’ Texte kennzeichnet eine erst zerfaserte, dann sorgfältig zu neuen Sinnfälligkeiten wiederversponnene Alltagssprache; hier ist sie auch noch angereichert mit den Versen der hofmannsthalschen Kunstsprache. Der Effekt ist betörend, Sprachsplitter glitzern wie auf einer Discokugel, und überhöht wird der Effekt noch durch die personel- le Verschmelzung, die Schmalz Hofmannsthals Personnage angedeihen ließ: Auf dem neureichen Fest, das der Finanzhai Jedermann gibt, wird ihm nicht nur die verführerische Buhlschaft Tod begegnen, sondern auch der arme Nachbar Gott, der nicht von ungefähr an einen Flüchtling erinnert. Um Jedermanns Seele hat er zuvor schon eine Wette mit der (teuflisch) guten Gesellschaft abgeschlossen: Das Kollektiv als Verkörpegenössische
rung des Leibhaftigen, auch keine schlechte Idee. Nicht ganz so gut gelingt der Säkularisierungsversuch des ursprünglichen Stücks. Schon wahr, die frömmelnd-barocke Moralität bei Hofmannsthal ist heute nicht mehr recht bekömmlich; ganz austreiben lässt sie sich dem Stoff aber nicht, auch wenn Schmalz die großen Fragen von Glauben, Reue, Erlösung mit erheblichem Respektabstand abschreitet.
Dabei hat er in einem Befund natürlich recht: Von der religiösen Hinwendung an das Jenseits, von der Beschäftigung mit Sünde und Vergebung ist in der Gegenwartsgesellschaft gerade noch eine vage Spiritualität geblieben. Folgerichtig wendet sich Schmalz in „jedermann (stirbt)“den Ersatzidolen und Verdrängungsmechanismen der Gegenwart zu: Nicht nur wird wieder einmal der Kapitalismus so gründlich wie erwartbar abgewatscht, Schmalz rückt das Ableben, den Tod selbst, in das Zentrum seiner Erzählung. Nicht dass er das tut, sondern wie er das tut, in pointenreichen Dialogen und wuchtigen „jedermann (stirbt)“. Mit: Karten: burgtheater.at Bewertung: Monologen, ist das Sensationelle dieses Stücks. Zumal Regisseur Stefan Bachmann in dieser pointenreichen, opulenten Inszenierung seine Darsteller zu funkelnden Sprachperformances führt: Neben Markus Hering als Jedermann brilliert Barbara Petritsch als Buhlschaft Tod, Oliver Stokowski als armer Nachbar Gott, Mavie Hörbiger als Mammon und selbstgefällige „Charity“(Gute Werke), Katharina Lorenz als Jedermanns entfremdete Frau, Markus Meyer und Sebastian Wendelin als schmieriges Vettern- und Politikerpärchen; daneben finden die acht, umwabert von Sven Kaisers großartig ominöser Musik, als (teuflisch) gute Gesellschaft immer wieder zu chorischem Glanz zusammen. Und dann ist da natürlich noch die berückende Bühne von Oliver Altmann: Jedermanns Garten wird bei ihm zur gallensteinfarbenen Mauer, in Mannshöhe rotiert darin träge eine riesige Röhre, die als Hamsterrad, Separee, Nahtoderfahrungstunnel fungieren kann: Durchgangsstätte und Abgrund zugleich, wie das Leben. Langer, sehr langer Jubel nach knapp zwei Stunden.
Glitzernde Sprachsplitter vor einer Mauer, wie aus Gallensteinen gebaut: Ferdinand Schmalz beschert mit seiner Neufassung des „Jedermanns“dem Burgtheater eine triumphale Uraufführung.