Manchmal ist es gut, nichts zu sehen
Doron Heiliger ist ein geduldiger israelischer Reiseleiter. Aber angesichts der knapp 800 Reisegruppen, die allmonatlich nach Israel kommen und von denen die meisten auch die Grabeskirche in Jerusalem besuchen, wird selbst er manchmal nervös. Oft sind es zwei Stunden, die man dicht gedrängt in der Reihe steht, um dann von einem griechisch-orthodoxen Mönch für ein schnelles Vaterunser ins Zentrum des Christentums gelassen zu werden: ins Grab Christi.
Umsich und seinentouristen diewartezeit zu ersparen, greift Doron Heiliger zu einem kleinen Trick. Er erklärt: „Da drinnen gibt es nichts zu sehen. Das Grab ist leer.“Ein wenig flapsig gibt er damit den Evangelisten Markus wider, der schreibt: Als am Sonntagmorgen die Frauen das Grab betreten, „sehen sie einen jungen Mann, der mit einem weißen Gewand bekleidet war; da erschraken sie sehr. Er aber sagte zu ihnen: Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus von Nazaret, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden. Er ist nicht hier.“
Der Kniff des Reiseleiters wirkt, denn die meisten Gruppen verzichten daraufhin auf den Besuch der Ädikula und gehen mit der gewonnenen Zeit einen arabischen Kaffee in der Altstadt trinken.
Dass Jesus in dem Steingrab tatsächlich begraben sein könnte, wie überraschend viele Besucher glauben, liegt an de- ren religiöser Unbildung. Falsche Vorstellungen vom Heiligen Grab liegen aber auch in der unpräzisen Ausdrucksweise im Deutschen und im Englischen begründet, wo man von der Grabeskirche und vom Holy Sepulchre spricht. Viel genauer ist das Griechische, das die Kirche, die im Herzen Jerusalems und im Herzen der österlichen Christen steht, als „Anastasis“, als „Kirche der Auferstehung“bezeichnet. ie Theologie der Auferstehung hat das biblische Judentum in mehreren Phasen entwickelt. In der Frühzeit Israels, etwa zur Zeit von König David, dominierte der Glaube, dass Tote in die Scheol, in dieunterwelt, absteigen, wo sie fortan eine Schattenexistenz führen und außerhalb des göttlichen Machtbereichs in einer reduzierten Form des Lebens vegetieren. Diese von altorientalischen Kulturen geprägte Vorstellung wird in Psalmen, die nach dem babylonischen Exil des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts entstanden sind, schließlich revidiert. Dort kommt verstärkt die Hoffnung auf eine Gemeinschaft mit Gott auch jenseits des physischen Todes zum Ausdruck. Vor al-
Dlem aber hat die Makkabäerzeit (2. Jh. v. Chr.) den Jenseitsglauben nachhaltig geprägt. Der Gedanke, dass fromme Juden im Kampf gegen Ungläubige ihr Leben hingeben und dadurch ihre Auslöschung erleiden, war einfach nicht erträglich. Man begeisterte sich vielmehr an der Idee, dass es für die Märtyrer doch irgendeine Form der Belohnung geben müsste. Daraus entwickelte sich die Theologie von einem Leben nach dem Tod, das der Gerechte bei Gott führt. So formuliert auch der Prophet Daniel (12,2): „Und viele, die im Land des Staubes schlafen, werden aufwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zur ewigen Schmach.“Ein klares Bild vom Leben nach dem Tod, verbunden mit einer stark jüdisch-nationalen Komponente, findet sich beim Propheten Ezechiel (37, 1–14): „Siehe, ich öffne eure Gräber und ich führe euch herauf aus euren Gräbern und ich bringe euch ins Land Israel.“ie Grabeskirche, der Ort der Auferstehung Jesu, liegt im Herzen der Altstadt von Jerusalem. Sie geht zurück auf die heiligehelena, Mutter von Kaiser Konstantin, die Jerusalem in den Jahren 325/326 besucht hat. Ihrwunsch war es, am Ort des Leidens und der Auferstehung Jesu eine Kirche zu errichten. Ihr Pech aber war, dass ausgerechnet dort bereits ein römischer Tempel stand. Die-
Dsen hatte 200 Jahre zuvor Kaiser Hadrian errichten lassen, der die darunterliegende Stelle der Verehrung durch Judenchristen zum Verschwinden bringen lassen wollte. Ganz nach dem Motto: aus den Augen, aus dem Sinn. aiser Hadrian war mit seiner Politik des Überbauens aber nicht sehr erfolgreich, denn in Jerusalem hielt sich daswissen um das, was unter dem Tempel verborgen war. Als Kaiserin Helena diesen abtragen ließ, fand sie, was sie zu finden hoffte: das Grab Jesu und den Felsen Golgota. Darüber ließ sie eine Basilika errichten, deren Substanz auch in der
Der Tag der Grabesruhe Jesu Christi ist ausgerichtet auf die Auferstehung und damit auf die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Wie immer dieses auch beschaffen sein mag.
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