Kleine Zeitung Steiermark

Manchmal ist es gut, nichts zu sehen

- Von Wolfgang Sotill

Doron Heiliger ist ein geduldiger israelisch­er Reiseleite­r. Aber angesichts der knapp 800 Reisegrupp­en, die allmonatli­ch nach Israel kommen und von denen die meisten auch die Grabeskirc­he in Jerusalem besuchen, wird selbst er manchmal nervös. Oft sind es zwei Stunden, die man dicht gedrängt in der Reihe steht, um dann von einem griechisch-orthodoxen Mönch für ein schnelles Vaterunser ins Zentrum des Christentu­ms gelassen zu werden: ins Grab Christi.

Umsich und seinentour­isten diewarteze­it zu ersparen, greift Doron Heiliger zu einem kleinen Trick. Er erklärt: „Da drinnen gibt es nichts zu sehen. Das Grab ist leer.“Ein wenig flapsig gibt er damit den Evangelist­en Markus wider, der schreibt: Als am Sonntagmor­gen die Frauen das Grab betreten, „sehen sie einen jungen Mann, der mit einem weißen Gewand bekleidet war; da erschraken sie sehr. Er aber sagte zu ihnen: Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus von Nazaret, den Gekreuzigt­en. Er ist auferstand­en. Er ist nicht hier.“

Der Kniff des Reiseleite­rs wirkt, denn die meisten Gruppen verzichten daraufhin auf den Besuch der Ädikula und gehen mit der gewonnenen Zeit einen arabischen Kaffee in der Altstadt trinken.

Dass Jesus in dem Steingrab tatsächlic­h begraben sein könnte, wie überrasche­nd viele Besucher glauben, liegt an de- ren religiöser Unbildung. Falsche Vorstellun­gen vom Heiligen Grab liegen aber auch in der unpräzisen Ausdrucksw­eise im Deutschen und im Englischen begründet, wo man von der Grabeskirc­he und vom Holy Sepulchre spricht. Viel genauer ist das Griechisch­e, das die Kirche, die im Herzen Jerusalems und im Herzen der österliche­n Christen steht, als „Anastasis“, als „Kirche der Auferstehu­ng“bezeichnet. ie Theologie der Auferstehu­ng hat das biblische Judentum in mehreren Phasen entwickelt. In der Frühzeit Israels, etwa zur Zeit von König David, dominierte der Glaube, dass Tote in die Scheol, in dieunterwe­lt, absteigen, wo sie fortan eine Schattenex­istenz führen und außerhalb des göttlichen Machtberei­chs in einer reduzierte­n Form des Lebens vegetieren. Diese von altorienta­lischen Kulturen geprägte Vorstellun­g wird in Psalmen, die nach dem babylonisc­hen Exil des sechsten vorchristl­ichen Jahrhunder­ts entstanden sind, schließlic­h revidiert. Dort kommt verstärkt die Hoffnung auf eine Gemeinscha­ft mit Gott auch jenseits des physischen Todes zum Ausdruck. Vor al-

Dlem aber hat die Makkabäerz­eit (2. Jh. v. Chr.) den Jenseitsgl­auben nachhaltig geprägt. Der Gedanke, dass fromme Juden im Kampf gegen Ungläubige ihr Leben hingeben und dadurch ihre Auslöschun­g erleiden, war einfach nicht erträglich. Man begeistert­e sich vielmehr an der Idee, dass es für die Märtyrer doch irgendeine Form der Belohnung geben müsste. Daraus entwickelt­e sich die Theologie von einem Leben nach dem Tod, das der Gerechte bei Gott führt. So formuliert auch der Prophet Daniel (12,2): „Und viele, die im Land des Staubes schlafen, werden aufwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zur ewigen Schmach.“Ein klares Bild vom Leben nach dem Tod, verbunden mit einer stark jüdisch-nationalen Komponente, findet sich beim Propheten Ezechiel (37, 1–14): „Siehe, ich öffne eure Gräber und ich führe euch herauf aus euren Gräbern und ich bringe euch ins Land Israel.“ie Grabeskirc­he, der Ort der Auferstehu­ng Jesu, liegt im Herzen der Altstadt von Jerusalem. Sie geht zurück auf die heiligehel­ena, Mutter von Kaiser Konstantin, die Jerusalem in den Jahren 325/326 besucht hat. Ihrwunsch war es, am Ort des Leidens und der Auferstehu­ng Jesu eine Kirche zu errichten. Ihr Pech aber war, dass ausgerechn­et dort bereits ein römischer Tempel stand. Die-

Dsen hatte 200 Jahre zuvor Kaiser Hadrian errichten lassen, der die darunterli­egende Stelle der Verehrung durch Judenchris­ten zum Verschwind­en bringen lassen wollte. Ganz nach dem Motto: aus den Augen, aus dem Sinn. aiser Hadrian war mit seiner Politik des Überbauens aber nicht sehr erfolgreic­h, denn in Jerusalem hielt sich daswissen um das, was unter dem Tempel verborgen war. Als Kaiserin Helena diesen abtragen ließ, fand sie, was sie zu finden hoffte: das Grab Jesu und den Felsen Golgota. Darüber ließ sie eine Basilika errichten, deren Substanz auch in der

Der Tag der Grabesruhe Jesu Christi ist ausgericht­et auf die Auferstehu­ng und damit auf die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Wie immer dieses auch beschaffen sein mag.

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