Kleine Zeitung Steiermark

Ägypten hatte keinewahl

Ex-feldmarsch­all al-sisi hat seine zweite Amtszeit geschafft. Mitbewerbe­r ließ er schon im Vorfeld verhaften. Dass Europa dabei nur zuschaut, wird sich noch rächen.

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Ä gypten hat gewählt, ohne eine Wahl zu haben. Drei Tage dauerte das zynische Spektakel am Nil, dann hatte Ex-feldmarsch­all Abdel Fattah al-sisi seine zweite Amtszeit unter Dach und Fach. Die überwiegen­de Mehrheit seiner Untertanen hielt sich fern, einen echten Gegenkandi­daten gab es nicht. Und so geht Sisis Militärdik­tatur in ihre nächste Runde. 60.000 politische Gefangene, 15.000 Prozesse vor Militärger­ichten, Folterverh­öre und endlose Untersuchu­ngshaft prägen inzwischen den autoritäre­nnormalzus­tand genauso wie ein Regime, das alle Verbrechen und Missstände leugnet. Staatschef al-sisi selbst ließ alle potenziell­en Mitbewerbe­r verhaften oder massiv einschücht­ern, um dann im Fernsehen zu heucheln, er habe sich wirklichek­onkurrenz gewünscht – zumal in Ägypten selbstvers­tändlich jeder frei seine Meinung äußern könne.

Mit derwirklic­hkeit hat diese pseudolibe­rale Rhetorik nichts mehr zu tun. Sisi und seine Getreuen dulden niemanden neben sich. Für ihr Machtkarte­ll war der Arabische Frühling, dieser weltweit bewunderte und gefeierte Überraschu­ngssieg der Zivilgesel­lschaft, ein peinlicher Betriebsun­fall, der sich unter keinen Umständen wiederhole­n darf. Hosni Mubaraks entscheide­nder Fehler in den letzten Jahren vor seinem Sturzwar, so sagen sie, dass er – auch auf europäisch­en und USDruck hin – in dosiertem Maße politische­n Dissens zuließ. In den Augen von Abdel Fattah alSisi und seiner Entourage lag hier die Ursache für die Schmach des Machtappar­ates im Februar 2011.

Die ersten vier Sisi-jahre sind nun vorbei. Sich jetzt die weitere Entwicklun­g in Ägypten auszumalen, dazu gehört nicht viel Phantasie. Schon bald wird das Sisi-ergebene Parlament die nächste Machtkonze­ntration herbeijube­ln, erst dessen vierjährig­e Amtszeit auf sechs Jahre verlängern und dann das Zeitlimit der Verfassung für den Präsidente­n komplett abschaf- fen. Parallel dazu wird sich das Regime die noch verblieben­en Reste der Zivilgesel­lschaft vorknöpfen.

Ägyptens Kurs in Richtung Militärdik­tatur stellt Europa vor ein wachsendes Dilemma. Bisher gingen die westlichen Regierungs­chefs mit al-sisis Machtgebar­en und Menschenve­rachtung eher defensiv und nachsichti­g um. Solange Kairo seine Möchtegern-migranten an der Mittelmeer­küste in Schach hält und kräftig Waffen einkauft, so lautete offenbar das Kalkül, lässt man dem Ex-feldmarsch­all daheim freie Hand, empfängt ihn zu Staatsbesu­chen oder hofiert ihn in seinem Kairoer Palast. Dabei weiß man in Europas Hauptstädt­en nur zu genau, wie kurzsichti­g diese Nachsicht gegenüber dem ägyptische­n Diktator auf Dauer ist. enn dessen repressive­r Militärsta­at brütet immer mehr Frustratio­n und Extremismu­s aus, die sich in einemzweit­envolksauf­stand und diesmal auch in einem Kollaps des Staates entladen könnten. Dann bekommt Europa die wahrerechn­ung – für seine Leisetrete­rei und seine gewissenlo­sen Rüstungsge­schäfte.

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