Der neue Antisemitismus in Europa
Die Übergriffe häufen sich: Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland warnt sogar davor, mit Kippa auf die Straße zu gehen.
Der Bub ist acht Jahre alt. Er geht vom Musikunterricht nach Hause. Zwei Jugendliche lauern dem Kind auf, überfallen und verprügeln es, im Pariser Vorort Sarcelle. Der Kleine ist übel zugerichtet. Sein Verhängnis: Er trug eine Kippa, die für männliche Juden typische kleine Kappe.
Einige Tage später in einer Pariser Wohnung. Die 85-jährige Mireille Knoll ist eine betagte alte Dame, sie leidet an Parkinson. Sie wird von ihremmuslimischen Nachbarn ermordet und angezündet. Den Holocaust hat Mireille Knoll überlebt, Paris im Jahr 2018 nicht. Mireille Knolls Enkelin Noa Goldfarb schrieb nach der Beerdigung auf Facebook: „Vor 20 Jahren habe ich Paris verlassen, weil ich wusste, dass ich dort keine Zukunft habe – weder ich noch das jüdische Volk.“
In der Vorwoche werden auf einer Straße im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg zwei Burschen Anfang 20, die beide Kippa tragen, von arabisch sprechenden Männern als Juden beschimpft und attackiert.
In einem Interview mit dem Rundfunk Berlin-brandenburg erklärt der Präsident des Zen- tralrats der Juden in Deutschland ein paar Tage später, dass er „Einzelpersonen davon abraten“müsse, „sich offen mit einer Kippa im großstädtischen Milieu in Deutschland zu zeigen“.
„Berlin trägt Kippa“in dieser Woche, mit Tausenden Teilnehmern, war eine Reaktion auf die zunehmende Feindlichkeit gegenüber Juden in Deutschland und eine Aufforderung an alle, ein Zeichen gegen den steigenden Antisemitismus in Europa zu setzen. Denn dermord an Mireille Knoll ist zwar die Spitze des Eisbergs, aber in ganz Europa häufen sich Übergriffe auf Juden, und auch Österreich hatte seine „Liederbuch-affäre“.
haben sich „seit Anfang 2018 antisemitische Übergriffe vervielfacht“, erklärt Frankreichs Innenminister Gerard Collomb. Die Hälfte aller in Frankreich registrierten rassistisch motivierten Übergriffe richtet sich mittlerweile gegen Juden, die mit 500.000 Mitgliedern nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung stellen. Das habe mit den Zuwanderern aus islamischen Ländern zu tun, warnen jüdische Organisationen. Das American Jewish Committee hat dazu eine Studie in Auftrag gegeben, die Ergebnisse wurden diese Woche präsentiert. Demnach sind judenfeindliche Ressentiments und antisemitische Verschwörungstheorien unter Flüchtlingen tatsächlich weit verbreitet.
Der in Berlin lebende palästinensisch-israelische Psychologe und Autor Ahmad Mansour fordert seit Jahren nationale Konzepte für den Umgang mit Antisemitismus sowie pädagogische Exposés für Kinder von Migranten. Doch Judenfeinde gebe es nicht nur unter Muslimen, sondern „links, rechts und Mitte der Gesellschaft“. Antisemiten seien wieder „selbstbewusster“und „lauter“geworden und hätten wieder weniger Hemmungen sich zu äußern, sagt Mansour im Gespräch mit dem „Deutschlandfunk“. Für den britischen Philosophen Brian Klug ist Antisemitismus „eine Art Feindseligkeit gegen Juden als ,Juden‘“. Eine Feindschaft, die auf falschen Tatsachen beruhe.
„Ich vermute, Sie alle haben ambivalente Gefühle gegenüber Österreich“– mit diesenworten richtete sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen diese Woche beim Empfang des Jewish Welcome Service an die Überlebenden des Holocaust und deren Nachkommen. Wie