Hauen und Stechen
Das Nein Österreichs zum Budgetvorschlag und der Alleingang bei der Indexierung der Familienbeihilfe waren nur der Anfang: Das Ringen um eine neue EU hat begonnen.
An so viel stoischer Gelassenheit zerbrach sogar die Angriffslust von Arminwolf. Gernot Blümel, in seiner Funktion als Europaminister im Studio der ZIB 2, blieb trotz aller Einwände gelassen dabei, die Regierung wisse schon, was sie tue, und werde am Ende auch gewinnen.
Es gingumdie sogenannte Indexierung der Familienbeihilfe, also die Anpassung der Höhe der Zahlung an das Niveau der Lebenshaltungskosten im EULand, in dem die Kinder wohnen. Blümel und Bundeskanzler Sebastian Kurz wissen wahrscheinlich gut, dass gegen die geltende europäische Rechtslage der Regierungsbeschluss nur zu einer Niederlage vor dem EUGH führen kann.
Die Regierung wählt denweg der direkten Konfrontation im Wissen, gute Argumente ins Treffen führen zu können. Ebendiese Indexierung fordern nämlich auch andere Staaten in Europa, den Briten wurde sie vor dem Brexit sogar explizit angeboten. Machbar muss sie also sein, zumal sie an anderer Stelle der Union schon praktiziert wird. Und auch das schlichte Argument der Un- gleichheit, die gleich hohe Zahlungen in unterschiedlich entwickelten Ländern erzeugen, lässt sich schwer entkräften. Selbst eine Niederlage vor dem EUGH könnte der Regierung daher noch nützen, vor allem wenn sie kurz vor den nächsten Nationalratswahlen kommt.
So klug dietaktik, die Eueinfach vor vollendete Tatsachen zu stellen, auf den ersten Blick zu sein scheint, so gefährlich ist sie. Dieregierung bedient – wie schon viele andere vor ihr – das alte Ressentiment gegen überstaatliche Strukturen auf dem Kontinent. Sie fördert damit die zentrifugalen Kräfte, die ohnedies auf dem Vormarsch sind.
Warum aber sind sie das? Die Geschichte der Familienbeihilfe zeigt beispielhaft ein Grundproblem der EU. Die historisch gewachsenen und politisch hart erkämpften Sozialstaaten waren zum Schutz der Bevölkerung geschlossener National- staaten gedacht. Die Öffnung der Märkte für Personen und Waren schuf neue Nutznießer, die vomgesetzgeber ursprünglich nicht gemeint waren. So entsteht bei vielen Menschen das Gefühl, ihr Land rinne nach allen Seiten aus, es werde ausgenützt von Menschen, die noch nichts oder wenig zum Aufbau und Erhalt dieses Systems beigetragen haben.
Man kann den Einwand als nationalistisch und engstirnig vom Tisch wischen. Nichts wäre gefährlicher für den Zusammenhalt der zerbrechlichen Union. Europa ist permanent im Umbau und wird es noch lange bleiben. Sein Überleben setzt voraus, dass wir bereit sind, das Regelwerk der Union permanent auf Akzeptanz, auf Funktionstüchtigkeit zu prüfen und es notfalls zu revidieren. ie Forderung der Regierung, das Eu-budget zu schrumpfen, ohne die Zuwendungen für Österreichs Bauern zu mindern, gehört mit zu dem Spiel. Es ist – wollen wir hoffen – nicht mehr als eine maximale Verhandlungsposition für das kommende Ringen um die neue Gestalt Europas ohne Großbritannien.
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