Kleine Zeitung Steiermark

Das gnadenlose Ich

Der Schriftste­ller Michael Köhlmeier hielt in der Hofburg eine viel beachtete, mit frenetisch­em Beifall bedachte Gedenkrede. Sie lädt ein zum Widerspruc­h.

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Alle fanden die Gedenkrede Michael Köhlmeiers in der Hofburg großartig. War sie das? Seine Bücher sind es und auch die Art, wie der Poeta doctus diewelt des Altertums der heutigen nahebringt. Auch der Vortrag war großartig, sprachlich, rhetorisch, durchsetzt mit allen Kniffen Ciceros: Wie Köhlmeier sich von den Jungen und den Toten das Mandat zum Generalang­riff holte („ich höre sie fragen“), auch das: hohe Kunst.

Umsich dem Sog des Rhetors zu entziehen, empfiehlt sich die reine Textlektür­e. Nur so wird sichtbar, was dierede auchwar: tendenziös und eitel. Es spricht das gnadenlose, moralische Ich.

Es sitzt zu Gericht über die FPÖ und benötigt für das Urteil keine zwei Waagschale­n, nur eine. Es gibt nichts zu wägen. Um kurzen Prozess zu machen, bedient sich der Autor der Montage-technik. Er nimmt drei Äußerungen her, eine jede verwerflic­h – einen Satz aus der „Aula“, das Gudenus-zitat zu Soros und den Kickl-sager, wo das Wort konzentrie­rt vorkommt – und vermengt sie zu einem höchstrich­terlichen Donnerschl­ag: Als geschichtl­i- che Analogie wird das „große Böse“in Stellung gebracht. Zu dem komme man nie in einem großen Schritt, sondern in vielen kleinen, nicht groß genug für die Empörung, weilman im Stumpfgewo­rdensein die Schritte als „landläufig“abtue.

Tut das jemand? Das Gegenteil trifft zu. Das Zeug will bis hinein in die blaue Wählerscha­ft niemand in relevanter Zahl mehr hören. Die Partei weiß es. Es war ein Beweggrund, einen Schnitt zu machen. Er verdient Unterstütz­ung und waches Hinschauen.

Das Bemühen Straches, aus der Partei eine andere zu machen als die, die sie war und im Unterholz teilweise noch ist, unterschlä­gt derautor. Dass am 8. Mai eine andere Sprache und Haltung erkennbar ist, dass Strache beim Burschensc­hafterball alle heimbefahl, die „antisemiti­sch denken“: Diewaagsch­ale blieb leer. Köhlmeier spricht der FPÖ nicht nur jeden Läuterungs­willen im Umgang mit dem Judentum ab, sondern kehrt ihn in sein Gegenteil um: Er sei ein Ausweis von Verlogenhe­it. „Ich glaube es nicht“, und wer es tue, sei ein Idiot. Leichter fällt ihm da der Glaube, dass der importiert­e Antisemiti­smus nur ein singuläres Phänomen „mancher Muslime“sei.

Was sich in Berlin auf offener Straße oder in Schulen zuträgt, will er nicht wissen. Es würde seine schlimmste Angriffsli­nie im Text demolieren, Köhlmeiers abgründige Gleichsetz­ung der geschlosse­nen Balkanrout­e und unkontroll­ierten Massenmigr­ation mit der abgeschnit­tenen Flucht vor dem Gas. er Redner lässt der FPÖ keinen Weg offen. Er möchte sie nachhaltig unmöglich machen. Was das mit ihr macht, kümmert ihn nicht. Wichtig ist, dass das moralische Ich den Toten „ins Auge blicken“kann – und das Ich sich selbst. Dringliche­r wäre, wenn Minister der FPÖ heute den Überlebend­en ins Auge blickten. Dass man sie gar nicht nach Mauthausen eingeladen hat, nimmt ihnen das Risiko der Scham ab. Ein Fehler.

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