Der Kanzler und die Last der Geschichte
Am ersten Tag seines Israel-besuchs trifft Sebastian Kurz die letzten Überlebenden des Holocaust. Er findet die richtigenworte und lädt sie nach Wien ein.
Tief in den Fels wurde die als Labyrinth angelegte Gedenkstätte geschlagen. Mächtige Steinwände mit 5000 Ortsnamen säumen die schmalen Wege. Wer das „Tal der Gemeinden“betritt, verliert zwischen den bedrohlich aufgetürmten Blöcken rasch die Orientierung. Sogar der Führer, der den Kanzler in der sengenden Jerusalemer Sonne durch das Areal geleitet, verläuft sich. Schließlich ist das Ziel erreicht: Wien, Graz, Klagenfurt, Leoben, Knittelfeld, Judenburg und andere Gemeinden, wo die Nazis gewütet haben, sind als Mahnmal für die Ewigkeit in den Stein gemeißelt worden.
Der erste Tag seines dreitägigen Israel-besuchs ist ganz den dunkelsten Kapiteln der österreichischen Geschichte gewidmet. Bundeskanzler Sebastian Kurz legt in der beklemmenden Totenhalle von Yad Vashem ei- nen Kranz nieder, wandert durch das Tal der Gemeinden und trifft nach einem Abstecher imtheodor-herzl-museum und am Grab von Präsident Schimon Peres im Österreicher-klub Überlebende des Holocaust.
„Ich weiß nicht, ob wir es verdient haben, so nett empfangen zuwerden“, findetkurz die richtigen Worte. Ein Überlebender, Gideon Eckhaus, hat von seiner glücklichen Kindheit in Wien erzählt, ehe dienazis dieser 1938 ein brutales Ende setzten. Tief bewegt schloss der 94-Jährige die Ausführungen mit dem letzten Satz der alten Hymne, „Gott mit dir, mein Österreich“.
Kurz wiederholt, dass wir „für unsere Geschichte selbst verantwortlich“seien. Viel zu spät habe sich Österreich der „schweren Verantwortung für die schrecklichen, beschämenden Verbrechen“gestellt. Und dann lädt er die letzten Überle- benden des Holocaust nach Wien ein. „Ich hoffe, dass ich Sie im Kanzleramt begrüßen kann.“
dürften rund 1000 Österreicher, die von den Nazis vertrieben worden oder vor deren Gräuel geflüchtet sind, in Israel am Leben sein. Viele sind gebrechlich, krank, kaum mobil und bettlägerig, einige sind nach 80 Jahren noch so traumatisiert, dass sie keinen Fuß auf österreichischen Boden setzen wollen. Die Regierung schätzt, dass zwischen 100 und 200 heimatvertriebene Juden die Reise antreten könnten.
Einige der Überlebenden beziehen eine Rente oder Pflegegeld. Immer wieder wird in den Gesprächen lobend die Tätigkeit des Nationalfonds erwähnt, der Entschädigungen ausbezahlt hat. Hannah Lessing, die Chefin, wird überschwänglich begrüßt.
Im Zuge des Besuchs wird be- kannt, dass sich Österreich mit einer Million Euro ambau eines neuen Shoah Heritage Collections Centers beteiligen wird, darin sollen Texte oder Bilder aus der damaligen Zeit archiviert werden. Auch soll der Zugang für Holocaust-forscher zum Staatsarchiv und der Mauthausen-gedenkstätte erleichtert werden. Wissenschaftsminister Heinz Faßmann unterzeichnet ein Abkommen, das Hunderten Mittelschullehrern aus Österreich die Möglichkeit bietet, an zweiwöchigen Schulungen in Yad Vashem teilzunehmen.
Für einen außerplanmäßigen Moment sorgt eine Führerin, die auf die FPÖ zu sprechen kommt und meint, dass es dort immer noch Politiker gebe, „denen man erklären muss, was die Schoah ist.“Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), springt Kurz bei. Der Bundeskanzler sei „der