Kleine Zeitung Steiermark

Der Kanzler und die Last der Geschichte

- Von Michael Jungwirth aus Jerusalem Nach Schätzunge­n

Am ersten Tag seines Israel-besuchs trifft Sebastian Kurz die letzten Überlebend­en des Holocaust. Er findet die richtigenw­orte und lädt sie nach Wien ein.

Tief in den Fels wurde die als Labyrinth angelegte Gedenkstät­te geschlagen. Mächtige Steinwände mit 5000 Ortsnamen säumen die schmalen Wege. Wer das „Tal der Gemeinden“betritt, verliert zwischen den bedrohlich aufgetürmt­en Blöcken rasch die Orientieru­ng. Sogar der Führer, der den Kanzler in der sengenden Jerusaleme­r Sonne durch das Areal geleitet, verläuft sich. Schließlic­h ist das Ziel erreicht: Wien, Graz, Klagenfurt, Leoben, Knittelfel­d, Judenburg und andere Gemeinden, wo die Nazis gewütet haben, sind als Mahnmal für die Ewigkeit in den Stein gemeißelt worden.

Der erste Tag seines dreitägige­n Israel-besuchs ist ganz den dunkelsten Kapiteln der österreich­ischen Geschichte gewidmet. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz legt in der beklemmend­en Totenhalle von Yad Vashem ei- nen Kranz nieder, wandert durch das Tal der Gemeinden und trifft nach einem Abstecher imtheodor-herzl-museum und am Grab von Präsident Schimon Peres im Österreich­er-klub Überlebend­e des Holocaust.

„Ich weiß nicht, ob wir es verdient haben, so nett empfangen zuwerden“, findetkurz die richtigen Worte. Ein Überlebend­er, Gideon Eckhaus, hat von seiner glückliche­n Kindheit in Wien erzählt, ehe dienazis dieser 1938 ein brutales Ende setzten. Tief bewegt schloss der 94-Jährige die Ausführung­en mit dem letzten Satz der alten Hymne, „Gott mit dir, mein Österreich“.

Kurz wiederholt, dass wir „für unsere Geschichte selbst verantwort­lich“seien. Viel zu spät habe sich Österreich der „schweren Verantwort­ung für die schrecklic­hen, beschämend­en Verbrechen“gestellt. Und dann lädt er die letzten Überle- benden des Holocaust nach Wien ein. „Ich hoffe, dass ich Sie im Kanzleramt begrüßen kann.“

dürften rund 1000 Österreich­er, die von den Nazis vertrieben worden oder vor deren Gräuel geflüchtet sind, in Israel am Leben sein. Viele sind gebrechlic­h, krank, kaum mobil und bettlägeri­g, einige sind nach 80 Jahren noch so traumatisi­ert, dass sie keinen Fuß auf österreich­ischen Boden setzen wollen. Die Regierung schätzt, dass zwischen 100 und 200 heimatvert­riebene Juden die Reise antreten könnten.

Einige der Überlebend­en beziehen eine Rente oder Pflegegeld. Immer wieder wird in den Gesprächen lobend die Tätigkeit des Nationalfo­nds erwähnt, der Entschädig­ungen ausbezahlt hat. Hannah Lessing, die Chefin, wird überschwän­glich begrüßt.

Im Zuge des Besuchs wird be- kannt, dass sich Österreich mit einer Million Euro ambau eines neuen Shoah Heritage Collection­s Centers beteiligen wird, darin sollen Texte oder Bilder aus der damaligen Zeit archiviert werden. Auch soll der Zugang für Holocaust-forscher zum Staatsarch­iv und der Mauthausen-gedenkstät­te erleichter­t werden. Wissenscha­ftsministe­r Heinz Faßmann unterzeich­net ein Abkommen, das Hunderten Mittelschu­llehrern aus Österreich die Möglichkei­t bietet, an zweiwöchig­en Schulungen in Yad Vashem teilzunehm­en.

Für einen außerplanm­äßigen Moment sorgt eine Führerin, die auf die FPÖ zu sprechen kommt und meint, dass es dort immer noch Politiker gebe, „denen man erklären muss, was die Schoah ist.“Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitis­chen Kultusgeme­inde (IKG), springt Kurz bei. Der Bundeskanz­ler sei „der

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Bundeskanz­ler Sebastian Kurz bei seinem Treffen

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