Mehr Geld, mehrwochenende
SPÖ und Gewerkschaft machen gegen flexiblere Arbeitszeiten mobil und bedienen sich dämonisierender Unternehmer-klischees. Ob die Betroffenen einstimmen, ist fraglich.
Der Tag hat 24 Stunden, wie viele davon sollen auf die Arbeit entfallen? An der Wiege der Gewerkschaftsbewegung steht eine Formel, die 160 Jahre auf dem Buckel hat, aber als Faustregel einer ausbalancierten Lebensführung noch immer brauchbar ist: Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit, acht Stunden Schlaf. Das ist ein gesundes, leicht idealistisches Richtmaß, das im Gesetz verankert bleibt. Der Achtstundentag ist derurmythos des Arbeitnehmerschutzes, geboren aus der gesetzlichenwildnis der Industriellen Revolution. Das ist der Grund, warum dasthema einen so hohen Erhitzungsgrad hat und sofort in klassenkämpferisches Pathos mündet.
Die Regierung demoliert diesen Pfeiler nicht, aber sie senkt die Hürde für Betriebe, die die Arbeitszeit bei Bedarf und ohne Zwang kurzzeitig auf bis zu zwölf Stunden dehnen wollen. Diese Flexibilisierung bei gleichbleibender Wochenarbeitszeit kann man als Zugeständnis an das Gebot derwettbewerbsfähigkeit bejahen, wie es Christian Kern im Plan A getan hat. Völlig unverständlich bleibt, warum ein solcher Ein- griff ohnebegutachtung im Parlament durchgepeitscht wird.
Die Gewerkschaft hat daraus den „12-Stunden-tag“gemacht. Das ist polemisch, weil es einen Dauerzustand suggeriert. Selbst wenn man Arbeitgebern unterstellt, ihre Mitarbeiter jeden Tag bis zum Umfallen an den Betrieb ketten zu wollen: Das Eu-recht ließe es durch die Begrenzung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden gar nicht zu.
Regelmäßig zwölf Stunden zu arbeiten ist ungesund, risikobehaftet, familienfeindlich, kreativitätshemmend und daher auch unternehmerisch unsinnig. Kein moderner Personalchef will einen eindimensionalen Workaholic, der nur aus Schlaf und Arbeit besteht. Aber: Es kann situativ notwendig sein, den Korridor von acht Stunden kurzzeitig zu dehnen, etwa, um Auftragsspitzen oder ein Projekt abzuarbeiten. Die Arbeit wird anders rhythmisiert. Sie wird nicht mehr. Das kann man argumentieren, wenn Mitarbeiter imgegenzug mehr Geld und geblockte freie Zeit erhalten. Pendlern wird diese Möglichkeit attraktiv erscheinen. All jene Handwerker, die irgendwo in einem Gasthaus übernachten müssen, weil sie sonst bei der Rückfahrt vom Job mit dem Arbeitszeitgesetz kollidieren, werden die Lockerung ebenfalls als Erleichterung empfinden. Und nicht als Drangsal. ie Möglichkeit, eine Mehrbeanspruchung abzulehnen, wenn sie etwa mit Betreuungspflichten unvereinbar ist, muss repressionsfrei gelebt werden. Dass zwingend Druck und Kündigung drohen, ist ein Schreckbild, entlehnt aus der Charles-dickens-prosa.
Die Lockerung der starren Arbeitszeit geht in Ordnung, aber sie erfordert einen erwachsenen Umgang mit ihr. Er respektiert betriebliche Notwendigkeiten ebenso wie familiäre. Dann droht auch keine neue Ausbeutung. Die größere Gefahr ist ohnehin derterror ständiger Erreichbarkeit: das Aushebeln der 8er-formel durch die digitale Selbstversklavung.
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