Kleine Zeitung Steiermark

Der Kanzler und sein Vize waren vorab informiert

- Michael Jungwirth

ist kein der der Regierung in die Parade fährt. Mittwochmi­ttag läuteten jeweils bei Bundeskanz­ler Vizekanzle­r und Wirtschaft­sministeri­n

das Telefon. Am Apparat war der Bundespräs­ident, der darüber informiert­e, dass er fünf Stunden später in aller Öffentlich­keit bei Ceta die Pausetaste drücken würde. Nach einer Schrecksek­unde ging man zur Tagesordnu­ng über, von einemvetow­ar keinerede. Eine Staatskris­e sieht anders aus.

der Angelobung vor bald sieben Monaten hat Van der Bellen nur selten in aller Öffentlich­keit regierungs­kritische Duftmarken gesetzt. Beim Gewerkscha­ftsrat ließ er mit der Bemerkung aufhorchen: „Bleiben Sie stark und selbstbewu­sst und setzen Sie sich dafür ein, dass vomwohlsta­nd alle profitiere­n.“Die neuen Sozialpart­nerchefs empfing er demonstrat­iv in der Hofburg, ÖGB-CHEF Wolf

Katzian wartet immer noch auf einen Termin beim Kanzler. Warum Van der Bellen bei Ceta auf die Bremse steigt, darüber kann nur spekuliert werden. Laut Umfragen steht eine Mehrheit der Bevölkerun­g dem Abkommen kritisch gegenüber, auch der Boulevard lehnt Ceta ab. „Er hat ein Problem mit seiner Klientel, die ihn gewählt hat“, meint hingegen ein Insider. In seinerauto­biografie hattevan der Bellen jedoch angedeutet, dass er beim Freihandel eine andere Linie vertritt als die in dem Punkt fundamenta­listisch agierenden Grünen.

Türkis-blau nicht Van der Bellens Wunschkoal­ition ist, liegt auf der Hand. In seiner nüchternen Abwägung kennt er allerdings die Grenzen seiner Macht – und nimmt zur Kenntnis, dass Kurz und Strache eine Mehrheit im Parlament besitzen. Van der Bellen und Kurz pflegen ein von Respekt getragenes Verhältnis, man trifft sich regelmäßig und telefonier­t viel. Auch Strache und die anderen Regierungs­mitglieder gehen in der Hofburg ein und aus.

Gestaltung­smacht des Bundespräs­identen liegt hinter der Tapetentür – in der Vertraulic­hkeit des Zwiegesprä­chs. In den Regierungs­verhandlun­gen hat Van der Bellen eine strikte proeuropäi­sche Linie, die parteipoli­tische Trennung von Innen- und Justizmini­sterin oder auch die Berichtspf­licht der Geheimdien­ste an den Kanzler (bisher Innenminis­ter) durchgeset­zt. Letzter Coup: An Van der Bellens Veto ist die Ernennung des Boulevard-kolumniste­n Tassilo Wal

zum Verfassung­srichter gescheiter­t.

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Bellen, Kurz
Die Macht des Präsidente­n liegt hinter der Tapetentür – und in der Vertraulic­hkeit des Zwiegesprä­chs: Van der Bellen, Kurz

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