Sich auf das Verbindende stürzen
Rock ’n’ Roll der Körper und ein Plädoyer für die Kraft des Kollektivs: Die Compagnie XY eröffnete La Strada in der Grazer Oper furios. Erste Kritiken von der Straße und der Siedlung.
Compagnie XY
Es ist nicht so, dass man nicht vorgewarnt worden wäre: „Haltensie Ihreaugen offen. Es existiert keine Wiederholungstaste.“Obwohl man in vielen Momenten an diesem schwindelerregenden Eröffnungsabend in der Oper Graz gerne eine gehabt hätte. 22 Artistinnen und Artisten – große, zierliche, bauchige – nehmen in ihrer ganzen Vielfalt den Begriff Körperkraft wörtlich. Sie feiern in 90 maximal kurzweiligen Minuten in der Produktion „Il n’est pas encore minuit ...“, also „Es ist noch nicht Mitternacht“, nichts weniger als das Wunderwerk Mensch. Sie rempeln sich an, sie werfen sich auf einen Haufen, siewachsen zusammen, schrauben sich in diehöhe, werden auf wundersameweise zur Einheit, um kurz darauf später wieder in sich zusammenzusinken: Kurz: Sie trotzen – ohne aufwendiges Bühnenbild oder sonstigen Schnickschnack – der Schwerkraft. Es klingt ein wenig abgedroschen: Aber dieser Abend provoziert ein pures Bühnenerlebnis. Menschentürme zu viert
oder zu dritt, atemberaubende Saltos von einem Turm zum nächsten, Körper, die wie Jonglierbälle durch die Luft tanzen, oder Sirtaki-schritte auf zwei Ebenen – also übereinander. Diese Truppe aus Lille scheint nichts aufzuhalten. Leichtfüßig, rhythmisch und dabei erfrischend situationskomisch kreieren sie Landschaftszonen vom kleinen Zeh bis zur Schläfe. Das alles ist nicht nur großes bildgewaltiges Kino, sondern auch ein Plädoyer für das Verbindende und wider das Spaltende. Auf der Bühne wie im echten Leben. „Alleine kannst du schneller gehen, aber zusammen können wir nochweiter gehen“, liest am Ende eine Körperkünstlerin vor. Tosenderapplausundstehende Ovationen. Julia Schafferhofer „Il n’est pas encore minuit ...“. 31. 7., 1. bis 3. 8., 20 Uhr, Oper Graz