Wie dieser „Tatort“das Genre veränderte
In der Sommerpause wird einer der kultigsten Krimis gesendet: „Im Schmerz geboren“.
Selten waren sich Publikum und Kritik so einig: „Im Schmerz geboren“ist eine der besten „Tatort“-folgen in der fast 50-jährigen Geschichte. Der furiose Mix aus Shakespeare, Tarantino und Western mit Ulrich Tukur als Wiesbadener Ermittler Felix Murot setzte 2014 neue ästhetische Maßstäbe und genießt seitdemkultstatus. Heute wiederholen ORF und ARD den Fall, in dem es so viele Leichen gibt wie in keinem anderen „Tatort“– die Zahl der Toten schwankt je nach Zählung zwischen 47 und 54.
Die Geisterballade erinnert an den berühmten Anfang von „Spiel mir das Lied vom Tod“: Drei Halunken warten an einem Bahnhof auf einen Zug, ein Fremder steigt aus, und wenig später sind die drei Galgenvögel tot. Murot erkennt in demfremden auf einem Überwachungsvideo einen alten Freund, Richard Harloff (diabolisch: Ulrich Matthes). Als Polizeischüler lebten sie in einer Ménage à trois mit einer Frau, später flog Harloff we- gen eines Drogendelikts von der Schule, setzte sich nach Bolivien ab und mutierte dort zu einem Supergangster. Nun ist er für einen blutigen Rachefeldzug nach Deutschland zurückgekehrt. Dass Murot selber das Ziel von Harloffs Rache ist und woher dieser unfassbare Hass rührt, wird in der kunstvollen, überaus tragischen Geschichte erst gegen Ende vollständig aufgelöst.
Extrem stilisiert und mit zahllosen Zitaten aus der Kunstgeschichte gespickt, bricht dieser postmoderne Anti-„tatort“mit so gut wie jeder Genrekonvention und ist dabei auch noch spannend. Regisseur Florian Schwarz und Autor Michael Proehl haben etwas gewagt und auf ganzer Linie gewonnen: Der Film wurde vielfach ausgezeichnet – u.a. mit der Goldenen Kamera oder dem Grimme-preis. Amende: ein Gruppenbild mit all den Toten der vorherigen 90 Minuten. Der Film hält noch einen weiteren Rekord: jenen der meisten Tweets auf Twitter, es waren 20.000. CW