Der Absturz in die Angstgesellschaft
Die Folgen der Finanzkrise gehen tief. Die Sozialisierung des Sparens ist zum gesellschaftlichen Auslaufmodell geworden – was manche beunruhigt und andere freut.
Es verwundert , wie unbeschadet die Us-ratingagenturen davongekommensind. Die Finanzkrise ist auch das Desaster der Ratingagenturen.
Karl Sevelda, früherer RBI-CHEF
Das kollektive Gedächtnis versagt bei Lehman. Im Gegensatz zu den Attentaten auf dasworld Trade Center hinterließ die Pleite des USInvestmenthauses naturgemäß viel weniger konkrete Erinnerungen bei den Menschen als die Bilder der brennenden Hochhaustürme. Das Vorstellungsvermögen reicht einfach nicht, um zu verstehen, wie weltweite Milliardenströme, die ohnehin niemand zu Gesicht bekommt, versiegen.
Was in den Köpfen tatsächlich angekommen ist, passt in einen kurzen Satz: Ein Finanzkollaps ist jederzeit möglich. Ein Gefühl, das auch im Rückspiegel der vergangenen zehn Jahre nicht völlig verblasst ist. Welcher Philosoph hätte schon Mitte 2008 thematisiert, dass wir in einer von Angst geprägten Gesellschaft leben?
„Dieses Gefühl, mir gehört die Welt, dieses positive Denken, das ist heute sicher nicht mehr so ausgeprägt wie früher“, sagt Ex-topbankerin Regina Prehofer. Ausgerechnet am 15. September 2008, dem Tag der Lehman-pleite, hatte sie ihren ersten Arbeitstag bei der Bawag, nachdem sie vorher der Bank-austriaunicredit den Rücken gekehrt hatte. Die Bawag hatte da ihre eigene, hausgemachte tiefe Spekulationskrise schon hinter sich, war finanziell wieder auf solidem Boden. „Aber es war klar, dass durch den Vertrauensverlust die alten Geschäftsmodelle nicht mehr funktionieren.“Dabei seien die meisten österreichischen Banken sehr stabil aufgestellt gewesen, erinnert sich Prehofer. „Dass sie die Auswirkungen des globalen Dominoeffekts trotz- dem voll zu spüren bekommen haben, hat mich am meisten überrascht.“Als sie drei Jahre später Managerin an der Wienerwirtschaftsuniwurde, „hatte ich auch das Gefühl, dass ich von den 1990er-jahren bis 2006 die beste Zeit der Banken miterleben durfte.“
Für Karl Sevelda fing 2013 die Zeit des ganz großen Aufräumens erst an. Zwar hatten weder die Raiffeisenzentralbank, wo er zur Zeit des Lehman-zusammenbruchs Vorstand für große Firmenkunden war, noch die Raiffeisen International selbst finanzielle Leichen im Keller. „Giftige Papiere hatten wir nicht. Aber wir hatten hohe Kredite bei Banken mit giftigen Papieren draußen.“Die Welle von Bank-pleiten in Island kostete die Raiffeisen-banker schließlich einen hohen dreistelligen Millionenbetrag.
Am meisten wundert Sevelda, der später im Sinne massiv erhöhter Kapitalanforderungen RZB und die Raiffeisen International fusionieren sollte, „wie unbeschadet die Us-ratingagenturen davongekommen