Nuancen einer Welt aus den Angeln
Ein Abend, zwei Autoren: Unverstelltes mit Hikmet und Ungehemmtes mit Kafka.
Der
Titel „Human Landscapes“für Michiel Vandeveldes Produktion über den türkischen Sprachmeister Nazim Hikmet ist wohlgewählt. Im schwarz ausgekleideten Kokon des Orpheum Extra inszeniert der belgische Choreograf die intensive Poetik des Autors und entfaltet eine Landschaft an Einzelschicksalen, die sich zu einem poetischen Gesamtbild verschließt. Ein Auf- und Abtauchen von Figuren, ein Leben als endlose Zugfahrt durch die türkische Peripherie. Die Nuancen beachtend, belässt Vandevelde die Sprache des Autors unverstellt, während er die fünf Tänzer geräuschlos zwischen den Zuschauern wandeln lässt. Eine zurückhaltende Performance, die auch deswegen etwas statisch wirkt.
Der vertraute Gedanke am Ende, man hätte es schon zu Beginn ahnen müssen, lag auch in der Produktion von Roee Rosen nahe – jedenfalls retrospektiv. Zunächst der Titel „Kafka for Kids“, ein Oxymoron, wenn man so will, und dazu ein rosa Kinderschlagzeug mit der Aufschrift „Hello Hitty“auf der Bühne. Nebst Musikern, die tiefenentspannt in Hippiekleidung zurmelodie wippen. Eine vermeintlich niedliche Versuchsanordnung, hinter der sich eine fatalistischemelange verbirgt, die Kafkas Texte in erste Linie als eine Möglichkeit der Grenzüberschreitung nutzt: Sei es in heiteren Kinderliedern über Kafkas „Verwandlung“oder einem bitterbösenvideomonolog der israelischen Schauspielerin Hani Furstenberg über die STH/LIZ EVE Unabwendbarkeit des persönlichen und des moralischen Verfalls des israelischen Rechtssystems. Nicht weniger pikant ist die dritte Episode, in der eine Persiflage auf amerikanische Stand-up-comedys als Vehikel für politisch Unkorrektes dient. Selbstredend bleibt bei diesen (Un-)gelegenheiten das Lachen zuweilen im Hals stecken. Aber wer Kafka sagt, muss eben auch Beklemmung sagen. Daniel Hadler